Die Braut des Wuestenprinzen
ein.
Ein schöner Sommermorgen kündigte sich an. Hinter dem Bergkamm dämmerte es bereits, doch im Tal war es noch völlig dunkel. Eins der Pferde, die unter einer Baumgruppe standen, scharrte mit den Hufen und wieherte leise. Elenor hörte das leiste Flattern der Zeltwand im Wind. Und über all dem lag der Gesang des Bülbüls.
Weiter unten im Tal sah sie Lichter – die dort lagernden Nomaden waren bereits erwacht. Hier oben in Karims Lager jedoch rührte sich niemand, und Elenor fasste blitzschnell einen Entschluss. Leise schlüpfte sie ins Zelt und zog den türkisfarbenen Shalwar Kamiz und die Stoffschuhe, die Karim ihr gestern gegeben hatte, an. Dann griff sie sich noch das weiße Tuch und schlich auf Zehenspitzen aus dem Zelt. Zwei Minuten später war sie auf dem Weg ins Tal.
Ihr Glück hatte nur einen Monat gedauert.
Nach der Hochzeit wurde der Kronprinz einen Monat lang von allen Verpflichtungen entbunden. Während dieses Monats hatten sie traditionsgemäß im Hochzeitsgemach gewohnt und ihre Zeit in einem Rausch aus sinnlichen, körperlichen und geistigen Genüssen verbracht. Einmal nahm Karim sie mit auf einen Ausritt in die Wüste, von dem sie sich abends in einer Oase erholten, auf Seidenkissen liegend und sich mit Datteln und Honig fütternd. Ein anderes Mal machten sie einen Ausflug in die Hochtäler, wo man sie mit köstlichem Ziegenkäse, frischen Kräutern und Fladenbrot bewirtete.
Gemeinsam mit den Männern des Dorfs aßen sie dort und unterhielten sich, während die Frauen ihnen das Essen brachten. Elenor ließ sich davon jedoch nicht die Laune verderben. Sie akzeptierte, was sie sah, ohne den Wunsch zu verspüren, es zu ändern.
Karim zeigt ihr nicht nur die ländliche Gegend. Sie besuchten Moscheen, buddhistische Schreine, die Tempel der vergangenen Religionen und Museen.
Zum Schluss kehrten sie in das Hochzeitsgemach zurück, ließen die Welt hinter sich und waren nur füreinander da. Durch Karim lernte sie die Freude kennen, ihre Gefühle und Gedanken, ja, ihr ganzes Sein mit jemandem zu teilen. Für Elenor, deren Leben eine Aneinanderreihung von Trennungen und Abschieden gewesen war, bedeutete es eine unbekannte Wohltat, sich einer – wie sie dachte – immerwährenden Liebe hinzugeben.
Auch körperlich erfuhr sie die vollständige Erfüllung durch Karim. Dafür schenkte sie ihm unumschränktes Vertrauen. So kamen sie einander immer näher, und sie sagte sich, dass sie am Ende eine Einheit bilden würden, wenn es so weiterginge.
Aber sie irrte sich. Nichts von alledem war echt.
Er saß am Hang hinter einigen Felsbrocken, daher sah man ihn von unten nicht. Neben ihr konnte er ohnehin nicht schlafen, und so hielt er lieber Wache.
Die Stimme des Bülbüls erklang und erfüllte sein Herz. Der Vogel flog den Fluss entlang und ließ sich auf einem Zweig über dem Wasser nieder. Dort setzte er seinen Gesang fort. Plötzlich wusste Karim, dass auch Elenor wach war und wie er dem Gesang des Vogels lauschte. Vor langer Zeit, es schien eine Ewigkeit zurückzuliegen, hatten sie sich gemeinsam dem geheimnisvollen Zauber dieses Gesangs hingegeben.
Aber er hatte sie ebenso wenig halten können wie den Gesang des Vogels. Zunächst hatte er sich nach ihr gesehnt, sich dann aber jeden Gedanken an sie verboten. Anfangs hatte er geglaubt, sie würde zurückkehren und ihm helfen, gegen die Zerstörung seines Lebens, seines Lands und seines Volks vorzugehen. Trotz allem, was man ihm über sie gesagt hatte, hatte er nicht an ihre Kaltherzigkeit glauben wollen. Doch in den vergangenen drei Jahren hatte sie sie ausreichend bewiesen. Ungeachtet dessen hatte er sie gesucht und sich geholt, was einmal ihm gehört hatte – ohne wirklich zu wissen, wohin das führen sollte.
Neben dem Zelt bewegte sich etwas. War etwa jemand verrückt genug, die Wüste zu durchqueren, um sie zu retten? Automatisch griff er nach seiner Waffe, die Augen fest auf die Stelle neben dem Zelt gerichtet.
Elenor ging den Trampelpfad neben dem kleinen Fluss entlang, der durchs Tal führte. Auf halber Strecke gab es ein kleines Waldstück zu beiden Seiten des Flusses. Wenn sie es bis dorthin schaffte, bevor jemand Alarm schlug, könnte sie sich immerhin verbergen. Der Gedanke daran beschleunigte ihren Schritt. Um sie herum war es noch dämmrig, aber bald würden die ersten Sonnenstrahlen die Talsohle erreichen.
Wann man ihr Fehlen im Camp wohl bemerken würde? Schützend wand sie sich das weiße Baumwolltuch um den Kopf. Solange man
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