Die Braut des Wuestenprinzen
Palast gab es zwei Menschen, mit denen Elenor sich gut verstand.
Doch wegen einer plötzlichen Erkrankung war der König seit Herbstbeginn ans Bett gefesselt. Niemand konnte seinen Zustand erklären, und der Arzt sah mit jedem Besuch besorgter aus. Eines Tages schickte der König nach Elenor. Das freute sie sehr, denn sie mochte den alten Mann gern.
„Wir leiden beide darunter, dass wir nichts zu tun haben“, begrüßte er sie freundlich, „also müssen wir etwas für unsere gegenseitige Unterhaltung sorgen.“
Dass er „nichts zu tun“ hatte, stimmte natürlich nicht. Er war lediglich nicht mehr in der Lage, seinen Geschäften außerhalb der eigenen vier Wände nachzukommen. Und obwohl er nicht mehr so viel arbeiten konnte, verbrachte er noch viel Zeit mit Ministern und Beratern. Elenor betrachtete es als ihre Aufgabe, ihn täglich ein, zwei Stunden von den Themen abzulenken, die ihm Sorgen bereiteten.
Schnell wurden sie sehr vertraut miteinander. Der König war ein begnadeter Erzähler. Von ihm hörte Elenor die Geschichten und Sagen seines Volks. Für Elenor war es, als nähme sie einen Schatz von ihm in Empfang, den sie zu bewahren und später auch einmal selbst weiterzugeben hatte.
Auch mit Karims Nichte verstand Elenor sich gut. Die Fünfzehnjährige bewunderte Elenor, die ihr als Verkörperung von exotischer Eleganz und moderner weiblicher Weisheit erschien.
In ihrer beider Gegenwart fühlte Elenor sich wohl.
Als sie endlich das schützende Waldstück erreichte, klopfte ihr Herz vor Angst. Sie nahm an, dass sie ins Tal gelangen würde, wenn sie dem Fluss weiter folgte. Das Wasser rauschte, und auch die Vögel sangen nun lauter. Einen möglichen Verfolger würde sie nicht hören. Also verzichtete Elenor auf eine Pause und eilte weiter.
Leider wusste sie nicht, wohin sie lief. Ebenso wenig wusste sie, wovor sie weglief. Doch, natürlich – vor Karim. Vor ihrer eigenen Vergangenheit.
Und dann war da noch eine dritte Person, mit der Elenor viel Zeit verbrachte. Puran, Karims Tante und Nargis’ Mutter.
Sie war eine Schwester der Gattin des Königs, die Witwe von dessen Cousin und bereits 60 Jahre alt. Nargis war völlig unerwartet, kurz vor dem Tod ihres Vaters geboren worden. Am Anfang verhielt sich die ältere Frau Elenor gegenüber eher feindselig. Doch Puran sagte, wenn ihre Tochter und Karim Elenor liebten, dann müsste auch sie sie lieben.
Puran war mit der höfischen und religiösen Erziehung Elenors betraut worden. Kurz nach dem Tod ihres Manns war sie in den Palast gekommen und besaß daher schon fünfzehn Jahre Erfahrung mit dem Leben am Hof. Sie erläuterte Elenor die Abläufe des Palastlebens, klärte sie darüber auf, worin ihre Pflichten bestanden oder bestehen würden, wenn Karim einst König würde. Außerdem lehrte sie Elenor die täglichen Gebete.
In allen möglichen Lebensbereichen war Elenor auf den Rat von Puran angewiesen: Sie erfuhr von ihr, welche Kleidung welchen Anlässen angemessen war, wie sie mit den Bediensteten umzugehen hatte und was die Bevölkerung Parvans von ihr als Kronprinzessin erwartete.
Als sie beim ersten Anblick des Palasts an eine Festung denken musste, hatte Elenor richtig gelegen. Denn schon bald bemerkte sie, dass man es nicht gern sah, wenn sie sich allein außerhalb des Palasts aufhielt. Puran sorgte dafür, dass Elenor den Palast nur in Begleitung eines Mannes verließ.
„Karim hat gesagt, das müsste nicht sein. Er hat mir versprochen, dass ich hier eine freie Frau wäre“, versuchte Elenor, sich zu wehren.
Jetzt, wo ein Krieg drohe, müsste alles vermieden werden, was dem Ansehen des Königs schaden konnte, erklärte Puran ihr daraufhin. Das verstand Elenor zwar, aber es ärgerte sie trotzdem. Sie fand, Karim hätte sich damals etwas ehrlicher und weniger optimistisch zu dem äußern können, was sie hier erwartete.
„Wenn ich mein Haar bedecke, wird mich keiner erkennen“, protestierte sie einmal.
„Es gibt kaum Touristen in Shahr-i Bozorg. Man wird dich sofort erkennen“, widersprach Puran. „Wenn du unbedingt willst, wenn es dir wichtiger ist als dieses Land, dann geh. Westliche Menschen sind eben individualistisch.“ Sie meinte natürlich selbstsüchtig. Nach diesem Gespräch versuchte Elenor nicht noch einmal, sie zu überzeugen.
Mit Kriegsbeginn wurde es noch schlimmer. Wenn Elenor ausgehen wollte, musste zu ihrer Begleitung ein Mann von einem wichtigeren Posten abgezogen werden.
Das konnte sie in dieser Situation natürlich
Weitere Kostenlose Bücher