Die Bruderschaft Christi
befunden hatte, so war sie komplett ausgeräumt worden.
»Wir kommen zu spät«, sagte Tom, nachdem sie eine Weile schweigend in der Grabkammer verbracht hatten.
»Aber wer …«
»Ich kann es mir schon vorstellen«, unterbrach Tom.
Eine ganze Weile suchten sie auf dem Felsvorsprung nach weiteren Spuren eines Grabes, und als die Sonne langsam tiefer sank, stiegen sie durch die Abrissnische wieder hinauf. Erschöpft ließen sie sich an der Felskante nieder. Tom nahm den letzten Schluck aus seiner Feldflasche.
»Aber zumindest gab es dort ein Grab«, versuchte Moshav Toms Enttäuschung ein klein wenig aufzufangen.
»Ja, dort gab es ein Grab«, wiederholte plötzlich eine Stimme im Hintergrund. »Aber es war bereits leer geräumt. Es gab nichts mehr darin, das auf Yehuda ben Yosef hingedeutet hätte. Es muss schon vor Jahrhunderten geplündert worden sein. Wir fanden Spuren der Eindringlinge. Ich denke, die Gebeine wurden von den Räubern fortgeschafft.«
Tom und Moshav fuhren herum. Pater Leonardo stand hinter ihnen.
Tom erhob sich. »Ich hätte mir denken können, dass Sie das Grab suchen, nachdem Sie die Schriftrollen in Ihren Händen hielten.«
»Es ist meine Aufgabe, den Glauben zu beschützen«, antwortete Pater Leonardo. »Sie haben von dem Talpiot-Grab gehört?«
»Ich las davon«, antwortete Tom.
»Eine weitere Theorie, nicht mehr und nicht weniger«, erklärte Pater Leonardo. »Doch die Lehren Christi werden auch diese Tage überdauern. Sehen Sie, ein Drittel unserer Menschheit glaubt an diese Lehren. Erinnern Sie sich, aus Auge um Auge wurden die rechte und die linke Wange. Aus Rache wurde Vergebung. Diese Philosophie hat die Menschheit über die Jahrhunderte hinweg vor noch größerem Unheil bewahrt. Sicherlich, im Namen des Glaubens wurde viel Blut vergossen. Fanatiker haben die Ideen des Herrn missbraucht. Aber stellen Sie sich eine Welt ohne Gott und ohne seinen Sohn vor. In einer gottlosen Welt wird die Dunkelheit regieren. Hätten Sie wirklich die Schriften veröffentlicht und in Kauf genommen, ein Drittel der Menschen dieser Erde in die Dunkelheit und in die Verdammnis zu führen?«
Tom fasste sich an die Stirn und zuckte mit der Schulter. »Ich will es wissen, ich will Gewissheit. Für mich.«
Pater Leonardo trat näher und setzte sich neben Tom auf den Fels.
»Es ist so eine Sache mit dem Glauben«, erklärte er. »Der Glaube ist nun einmal das, was er ist. Ein Glaube, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Glauben und Wissen haben nichts miteinander gemein. Der Glaube, von dem ich spreche, bedeutet Vertrauen. Jemandem vertrauen, auf ihn bauen. Deswegen ist der Glaube ein wesentlicher Bestandteil unseres Daseins. Brauchen wir den Glauben nicht, damit wir jeden Tag neu beginnen können? Der Glaube an sich selbst, der Glaube an große Dinge, der Glaube an Gott. Was wäre der Mensch ohne Glauben? Es ist allein der Glaube, der uns stark macht. Und den wir niemals verlieren dürfen. Wir wissen nicht, wer Jesus damals war, was er dachte, was er fühlte und welchen Weg er gehen wollte, aber wir glauben an ihn, wir glauben, dass er uns erlösen kann, weil er auferstanden ist. Dieser Glaube macht uns stark, weil auch wir auferstehen. Nicht nur nach unserem Tod, wir stehen jeden Tag auf, nach jeder Niederlage, nach jedem Schicksalsschlag. Wir stehen auf und wir stehen für Dinge ein. Unser Glaube darf wanken, darf groß oder auch nur klein sein, an manchen Tagen. Aber er darf nie zerbrechen, denn dann zerbrechen wir mit ihm. Und wir geben damit uns selbst auf. Wer auch immer Jesus Christus war, oder Yehuda ben Yosef, eines ist gewiss, er brachte die Liebe in die Welt. Im Glauben geht es nicht darum, was wir am Ende beweisen können, sondern wie wir unser Leben gestalten, was wir aus unserem Leben machen und wie wir mit unserem Nächsten umgehen. Ich weiß, Sie stellen sich die Frage, ob Jesus wirklich gelebt hat, ob er der war, für den wir ihn halten. Ist das nicht unerheblich? Ist es nicht wichtig, dass wir seine Ideen in uns tragen und in seinem Sinne unser Leben gestalten?«
Tom blickte zu Boden.
»Liebet euren Nächsten, so wie ihr euch liebt«, fuhr der Pater fort. »Das ist seine Botschaft, versteht ihr das nicht?«
Tom blicke dem Pater ins Gesicht. »Nach all dem, was geschehen ist, glaubt Ihr an Jesus aus Nazareth?«
Pater Leonardo schob Tom einen kleinen Aktenkoffer zu.
»Was ist das?«, fragte Tom.
»Machen Sie ihn auf«, antwortete Pater Leonardo.
Tom öffnete die Verschlüsse
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