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Die Bruderschaft der Runen

Titel: Die Bruderschaft der Runen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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verstehen. Aber ich muss Ihnen sagen, dass schlimme Dinge Ihrer harren, wenn Sie bleiben.«
    »Schlimme Dinge?« Mary lachte freudlos. »Was könnte noch schlimmer sein als das, was mir bereits widerfahren ist? Man hat mir alles genommen, was mir etwas bedeutet hat, und der Mann, der mich heiraten wird, ist ein machthungriger Ignorant.«
    »All das«, sagte die Alte düster, »ist nichts im Vergleich zu den Dingen, die auf Sie warten. Ein Sturm zieht auf, Mary of Egton, und Sie werden von ihm fortgerissen werden, wenn Sie sich nicht vorsehen. Es gibt einen Grund, weshalb Sie hier sind.«
    »Einen Grund? Was meinst du damit?«
    »Mehr kann ich nicht darüber sagen, denn auch ich weiß noch nicht alles. Aber Sie sind in großer Gefahr. Dunkle Mächte haben Ihnen eine Rolle in ihren Plänen zugeteilt.«
    »Dunkle Mächte? Du redest wirres Zeug.«
    »Ich wünschte, es wäre so. Aber in diesem Land, Mylady, gibt es mehr Dinge zwischen Himmel und Erde, als Sie sich vorzustellen vermögen. Die Sagen und Mythen der Vergangenheit sind hier vielfach noch lebendig, wenn auch nur in unserer Erinnerung.«
    Mary konnte nicht anders, ein leiser Schauer rieselte ihren Rücken herab, während sie der Alten zuhörte. »Woher weißt du das alles?«, fragte sie.
    »Ich weiß es, weil all das vor über fünfhundert Jahren bereits einmal geschehen ist, hier auf dieser Burg. Schon einmal gab es eine junge Frau wie Sie, die ein trauriges Schicksal erlitt. Sie war eine Fremde unter Fremden, die von ihrer Familie verraten wurde.«
    »Wie war ihr Name?«, fragte Mary, die sogleich an ihre Träume denken musste. Aber natürlich war das Unsinn. Einen solchen Zufall konnte es nicht geben …
    »Gwynneth Ruthven«, sagte die Alte – und traf Mary damit wie mit einem Hammerschlag.
    »Gwynneth Ruthven?« Mary hob die Brauen. Konnte ein solcher Zufall denn möglich sein?
    »Sie sprechen den Namen aus, Mylady, als wäre er Ihnen bekannt.«
    »Ich weiß, dass es seltsam klingen muss«, erwiderte Mary zögernd, »aber ich kenne ihn tatsächlich. Er ist mir bereits begegnet – in meinen Träumen.« Sie trat erneut ans Fenster und blickte hinaus, versuchte sich zu erinnern. »Im Traum begegnete mir eine junge Frau. Sie war etwa in meinem Alter, und ihr Name war Gwynneth. Gwynneth Ruthven. Ist das nicht sonderbar?«
    »Sonderbar«, bestätigte die Alte, »und auch wieder nicht. Denn Träume, Herrin, sind mehr als nur Trugbilder, die unser müder Geist uns vorgaukelt. Sie sind ein Blick in unser Innerstes, in unsere Seele. Sie schaffen Verbindungen, oft über die Grenzen von Raum und Zeit hinweg.«
    »Und was bedeutet das?« Mary wandte sich wieder um und schaute die geheimnisvolle Alte fragend an.
    »Das, Mylady, müssen Sie für sich selbst herausfinden. Ich habe ohnehin schon mehr gesagt, als ich sollte. Weder dürfte ich hier sein noch mit Ihnen sprechen. Meine Zeit ist längst zu Ende, und ich bin nur deshalb gekommen, weil ein altes, ein uraltes Schicksal dabei ist, sich zu erfüllen. Und Sie, Herrin, sind in großer Gefahr.«
    »In Gefahr? Welches Schicksal? Wovon sprichst du?«
    »Derselbe Stolz. Derselbe Starrsinn«, sagte die Alte rätselhaft. »Die Vergangenheit kennt die Antwort. Suchen Sie nach ihr, wenn Sie mir nicht glauben wollen.« Damit wandte sie sich um und verließ das Gemach.
    Mary unternahm nicht den Versuch, sie aufzuhalten. Sie vermutete, dass die alte Frau nicht mehr ganz richtig im Kopf war. Sie hatte wirres Zeug geredet, das keinen rechten Sinn ergab. Andererseits – woher kannte sie den Namen Gwynneth Ruthven? Mary hatte niemandem von ihren Träumen erzählt. Hatte die alte Dienerin also vielleicht doch Recht? Bestand tatsächlich eine Verbindung, eine Art Seelenverwandtschaft, zwischen Mary und dieser Gwynneth Ruthven? Eine Verbindung, die die Jahrhunderte überdauerte?
    Mary fröstelte. Energisch schüttelte sie den Kopf. So etwas konnte nicht möglich sein. Dinge wie diese gab es nicht.
    Aber wie erklärte es sich dann, dass sie von einer jungen Frau träumte, die tatsächlich gelebt hatte, obwohl sie nicht das Geringste von ihrem Schicksal wusste? Und wieso hatte das Runenweib aus dem Traum der alten Dienerin so verblüffend ähnlich gesehen?
    Den ersten Traum hatte Mary auf die Lektüre von Sir Walters Buch zurückgeführt, in dem sie am Vorabend gelesen hatte. Nun aber war diese Möglichkeit nicht mehr gegeben; Eleonore of Ruthven hatte dafür gesorgt, dass es keine Bücher mehr gab, die Marys Fantasie beflügeln

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