Die Bruderschaft der Runen
Du bist der letzte Spross eines Adelsgeschlechts, dein Titel und Besitz sind nur ererbt. Quentin hingegen hat alles, was er ist, redlich erworben. Müsste ich wählen zwischen dir und ihm, würde ich ihn stets vorziehen.«
Der Maskierte wankte wie unter einem Fausthieb, so sehr hatten Marys Worte ihn getroffen. »Das wirst du bereuen«, prophezeite er. »Als ich deine Zuneigung wollte, hast du sie mir verweigert. Nun wirst du dafür bezahlen.
Ihr alle werdet dafür bezahlen«, fügte er hinzu, an Quentin und Sir Walter gewandt. »Noch ehe der Mond sich wieder enthüllt, werdet ihr bedauern, euch gegen uns gestellt zu haben. Eine neue Zeit wird anbrechen, noch heute Nacht!«
»Was haben Sie vor?«, erkundigte sich Sir Walter, von den pathetischen Worten des Sektierers sichtlich unbeeindruckt. »Wozu diente all dieses Blutvergießen? Wozu dieser sinnlose Hass? Dieser lächerliche Mummenschanz? Glauben Sie wirklich an dieses ganze Theater?«
Der Mann mit der Silbermaske warf ihm einen seltsamen Blick zu. Dann schritt er langsam und bedrohlich auf ihn zu. »Sollte es sein«, sagte er dabei, »dass es Ihnen bei allem, was Sie gesehen und erlebt haben, noch immer an Glauben fehlt, Scott? Dabei kann ich deutlich die Furcht in Ihren Augen erkennen.«
»Da haben Sie Recht. Aber es sind nicht so sehr alte Flüche und die törichte Maskerade, die ich fürchte, sondern vielmehr das, was Sie dem schottischen Volk antun könnten in Ihrer Raserei. Was haben Sie vor, Malcolm of Ruthven?«
»Sie wissen also, wer ich bin«, erwiderte der andere, und mit einer beiläufigen Handbewegung nahm er die Maske ab. Seine blassen Züge waren hassverzerrt. »Dann will ich Ihnen den Gefallen tun und im letzten Akt dieses Spiels mit offenem Visier vor das Publikum treten. Warum auch nicht? Wenn das Ritual erst abgeschlossen ist, wird es keine Rolle mehr spielen, wer oder was ich einst war. Man wird nur noch danach fragen, was ich bin.«
»Tatsächlich?« Sir Walter hob unbeeindruckt die Brauen. »Und was sind Sie, Ruthven? Ein Wahnsinniger? Ein Träumer, der jeden Bezug zur Realität verloren hat? Oder sind Sie nur ein ganz gewöhnlicher Dieb und Mörder?«
In Malcolm of Ruthvens Zügen tobte ein zorniges Mienenspiel. »Sie wissen nichts«, stellte er fest. »Sie sind so unwissend wie am ersten Tag, dabei hatten Sie Gelegenheit genug, zu begreifen und ein Glaubender zu werden. Aber ich versichere Ihnen, Scott – noch vor Sonnenaufgang werden Sie überzeugt sein, dass ich nicht verrückt bin und dass der Fluch des Runenschwerts tatsächlich existiert. Denn heute Nacht werde ich ihn entfesseln.«
»Das also ist der Grund? Deshalb mussten all diese armen Menschen sterben? Mein armer Jonathan? Professor Gainswick? Abt Andrew?«
»Sie sind die Letzten gewesen. Die Letzten aus einer langen Reihe von Opfern, die der Kampf um das Runenschwert gefordert hat. Vor vielen Jahrhunderten wurde ein Pakt geschlossen, Scott. Ein Pakt mit dunklen Mächten, die seither dem Runenschwert innewohnen und Herrscher zu stürzen und zu krönen vermögen. Sie haben Braveheart den Untergang gebracht und hätten Robert the Bruce zum König erhoben.«
»Robert the Bruce war König von Schottland«, brachte Scott in Erinnerung. »Mit dem heiligen Segen der Kirche.«
»Unsinn. Sein Königtum war nur ein Schatten, seine Herrschaft von kurzer Dauer. Der Bruce hätte ewig herrschen können, aber er war zu einfältig, um zu begreifen, welche Möglichkeiten das Schicksal ihm bot. Er hat das Schwert auf dem Schlachtfeld von Bannockburn zurückgelassen und damit alles weggeworfen.«
»Er hat nur getan, wozu sein Gewissen ihm riet.«
»Er hat seinen eigenen Untergang heraufbeschworen und uns alle verraten. Wie es hieß, hatte unmittelbar nach der Schlacht ein altes Runenweib, das den lichten Künsten frönte, das Schwert an sich genommen, um es vor uns zu verbergen. Viele Jahrhunderte suchten wir es vergeblich.«
»Wir? Wer ist ›wir‹?«
»Die Bruderschaft der Runen und das Geschlecht derer von Ruthven«, gab Malcolm stolz zur Antwort, »untrennbar verbunden seit dem Tag von Bannockburn. Über Jahrhunderte suchten wir nach dem Schwert und taten alles, um die Herrschaft zurückzugewinnen, während die neue Ordnung immer mehr erstarkte. Die Engländer kamen und überrannten unser Land, und die Clansherren ließen sich von ihnen vorführen wie dumme Schuljungen. Es fehlte an Kraft, die Clans zu einen, denn das Symbol dieser Einheit war verloren gegangen am Tag der
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