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Die Bruderschaft der Runen

Titel: Die Bruderschaft der Runen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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und das nenne ich Loyalität. Du hast deine Angst überwunden und bist den Dingen auf den Grund gegangen, das nenne ich Courage. Dein größtes Verdienst jedoch ist, dass du Lady Mary bis zuletzt Mut zugesprochen hast und dich vorhin sogar gegen sie austauschen wolltest. Das, mein lieber Junge, nenne ich Tapferkeit.«
    Quentin erwiderte das Lächeln, das sein Onkel ihm schenkte. Früher hätte ihm ein solches Lob alles bedeutet – in Anbetracht der Umstände war es nur ein schwacher Trost. »Ich danke dir, Onkel«, sagte er dennoch. »Es war mir eine Ehre, dein Schüler zu sein.«
    »So wie es mir eine Ehre war, dich zu unterrichten«, erwiderte Sir Walter, und in seinen Augenwinkeln sah Quentin heimliche Tränen schimmern.
    Dann kehrte Schweigen ein.
    Keiner der beiden sprach mehr ein Wort, beide starrten still vor sich hin. Was hätten sie sich auch noch sagen sollen? Es war alles gesprochen worden, jedes weitere Wort hätte den Schmerz nur noch vergrößert.
    Sie wussten beide, dass es kein Entkommen gab. Noch war nicht klar, was die Sektierer mit ihnen vorhatten, aber Malcolm of Ruthven und seine ruchlose Bande hatten schon zu früherer Gelegenheit bewiesen, dass ein Menschenleben für sie nichts wert war. Um ihre Ziele zu erreichen, gingen die Runenbrüder über Leichen – und weder Sir Walter noch Quentin gaben sich falschen Illusionen hin. Sie würden sterben, vermutlich noch in dieser Nacht, die von den Runen auf dem Sarkophag von Robert the Bruce vorausgesagt worden war.
    Der Nacht der Mondfinsternis …
    Lange saßen sie so, schweigend und jeder in seine Gedanken versunken. Dann – es musste bereits Mitternacht sein – wurden erneut Schritte vor der Baracke hörbar. Die Tür wurde geöffnet, und die Vermummten kamen zurück.
    Diesmal war die Reihe an Sir Walter und Quentin.
    Die Szenerie war so düster wie unheimlich.
    In einem alten Steinkreis, der aus vorgeschichtlicher Zeit stammte und dessen riesige Quader sich in den nachtschwarzen Himmel reckten, hatten die Runenbrüder sich versammelt: dutzende von Vermummten, die die schwarzen Masken und Kutten der Bruderschaft trugen.
    Die Fackeln in ihren Händen waren die einzige Lichtquelle, denn der Mond, der hoch am nächtlichen Himmel stand, hatte bereits angefangen, sich einzutrüben. Nur noch eine schmale Sichel war zu sehen, die bleich und hell leuchtete. Die Mondfinsternis stand kurz bevor.
    Man führte Sir Walter und Quentin in die Mitte des Kreises – dorthin, wo ein steinerner Opfertisch stand und zwei weitere Vermummte warteten.
    Der eine war von großem Wuchs, und trotz des schwarzen Gewandes, das er trug, war deutlich zu sehen, dass er schlank und hager war. Eine geschwärzte Maske bedeckte sein Gesicht, dennoch war Sir Walter sicher, dass sich hinter der Verkleidung kein anderer als Charles Dellard verbarg, der verräterische Inspector.
    Der andere Mann war kleiner. Von den übrigen Sektierern unterschied er sich durch sein weißes Gewand und die silberne Maske vor seinem Gesicht. Durch die Sehschlitze blitzte ein hasserfülltes Augenpaar.
    Dies musste Malcolm of Ruthven sein, vermutete Sir Walter, während Quentin nur Augen hatte für die junge Frau, die an Armen und Beinen gefesselt auf dem steinernen Opfertisch lag. Man hatte ihr ein schäbiges Kleid aus grauem Leinen angezogen, und das lange, offene Haar wallte über den jahrtausendealten Stein. Verzweiflung sprach aus ihren Blicken.
    »Mary!«, rief Quentin, und in einer energischen Bewegung gelang es ihm, sich von seinen Häschern loszureißen. Die wenigen Schritte zum Opferstein legte er laufend zurück und fiel atemlos vor ihr nieder.
    »Mary«, hauchte er. »Es tut mir so Leid. So Leid, hörst du?«
    »Liebster Quentin«, erwiderte sie mit bebender Stimme. »Du kannst nichts dafür. Das Schicksal war gegen uns. Ich wünschte, wir wären einander nie begegnet.«
    »Nein«, widersprach er, während ihm Tränen in die Augen traten. »Egal, was geschieht, ich bin glücklich, dir begegnet zu sein.«
    »Sieh an.« Der Mann mit der Silbermaske war vorgetreten und blickte herrisch auf beide herab. Seine Stimme triefte vor Bosheit. »Hast du also endlich jemanden gefunden, der dein kaltes Herz zum Erweichen gebracht hat, Mary of Egton? Jemand, der deiner würdig ist – ein bürgerlicher Habenichts der ärgsten Sorte.«
    »Wage es nicht, ihn zu beleidigen«, zischte Mary. »Quentin hat in seinem kleinen Finger mehr Ehrgefühl als du an deinem ganzen verderbten Leib, Malcolm of Ruthven.

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