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Die Brücke am Kwai

Die Brücke am Kwai

Titel: Die Brücke am Kwai Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierre Boulle
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den Obersten auf, um ihn zu fragen, ob er sich endlich entschlossen habe, sich wie ein »gentleman« aufzuführen. Er war ganz ruhig gekommen in der Absicht, an seine Vernunft zu appellieren; aber vor der eigensinnigen Weigerung des anderen, eine bereits erledigte Frage zu diskutieren, verlor er die Selbstbeherrschung und steigerte sich wieder in diesen Wahnsinnszustand hinein, in dem er kein zivilisierter Mensch mehr war. Der Oberst wurde wieder geschlagen, und der Koreaner mit dem Affengesicht erhielt strengen Befehl, die unmenschliche Behandlung der ersten Tage wiederherzustellen. Saito verprügelte sogar den Wachposten. Er kannte sich nicht mehr, wenn ihn einer dieser Anfälle überfiel, und er beschuldigte ihn, daß er sich zu milde zeige. Er fuchtelte wie ein Wahnsinniger in der Zelle umher, fuhr mit seiner Pistole herum und drohte, mit eigener Hand den Gefangenenwärter und den Gefangenen niederzuschießen, um die Disziplin wiederherzustellen.
    Clipton, der versuchte, noch einmal zu intervenieren, wurde ebenfalls geschlagen, und aus seinem Lazarett wurden alle Kranken, die sich auf den Beinen halten konnten, herausgetrieben. Sie mußten sich zur Baustelle schleppen und Material fortschaffen, wenn sie nicht zu Tode gepeitscht werden wollten. Während einiger Tage herrschte Terror im Lager am Kwai-Fluß. Oberst Nicholson antwortete auf die üble Behandlung mit einem hochmütigen Schweigen.
    Saitos Seele schien abwechselnd zwischen der eines Master Hyde, der zu allen Abscheulichkeiten fähig war, und der eines relativ menschlichen Doktors Jekyll hin und her zu schwanken. Als die Krise der Gewalttätigkeiten vorüber war, folgte eine außerordentlich gemilderte Behandlung. Oberst Nicholson erhielt die Genehmigung, nicht nur eine volle Ration zu empfangen, sondern auch Sonderzuteilungen, die grundsätzlich nur den Kranken vorbehalten waren. Clipton bekam die Erlaubnis, ihn zu besuchen und zu pflegen, und Saito setzte ihm sogar auseinander, daß er ihn persönlich für den Gesundheitszustand des Obersten verantwortlich mache.
    Eines Abends ließ Saito seinen Gefangenen in sein Zimmer bringen und befahl den Wachposten, sich zurückzuziehen.
    Ganz allein mit ihm, ließ er ihn Platz nehmen und holte eine Büchse mit amerikanischem Corned beef, Zigaretten und eine Flasche des besten Whiskys hervor. Er sagte ihm, daß er als alter Soldat sein Verhalten in tiefster Seele bewundere, aber es sei nun einmal Krieg, für den sie beide, weder der eine noch der andere, nicht verantwortlich seien.
    Er müsse verstehen, daß er, Saito, gezwungen sei, den Befehlen seiner Vorgesetzten zu gehorchen. Nun aber erstreckten sich diese Befehle im besonderen darauf, daß die Brücke über den Kwai-Fluß schnell gebaut werde. Er sei daher gezwungen, sämtliche verfügbaren Arbeitskräfte einzusetzen. Der Oberst lehnte das Corned beef, die Zigaretten und den Whisky ab, hörte aber die Rede aufmerksam an. Er antwortete ruhig, daß Saito keine Ahnung habe, wie eine so wichtige Arbeit wirksam durchzuführen sei.
    Er war auf seine Anfangsargumente zurückgekommen. Der Streit schien sich unendlich in die Länge ziehen zu müssen.
    Niemand konnte voraussehen, ob Saito ein vernünftiges Gespräch führen oder sich einem neuen Wahnsinnsanfall überlassen werde. Er blieb lange still. Der Oberst benutzte diese Gelegenheit, um eine Frage zu stellen.
    »Dürfte ich fragen, Oberst Saito, ob Sie mit den ersten Arbeiten zufrieden sind?«
    Diese perfide Frage hätte das Gleichgewicht ebensogut in Richtung auf die hysterische Krise verschieben können, denn die Arbeiten waren sehr schlecht begonnen worden, und gerade darin lag eine der Hauptsorgen des Obersten Saito, dessen persönliche Situation – ebenso wie seine Ehre – in diesem Kampf auf dem Spiele stand. Indessen war jetzt nicht die Stunde des Master Hyde. Er verlor an Haltung, senkte die Augen und stammelte eine undeutliche Antwort. Daraufhin drückte er ein Glas Whisky in die Hand des Gefangenen, schenkte sich selber ein Glas bis an den Rand voll ein und sagte:
    »Sehen Sie mal, Oberst Nicholson, ich bin nicht ganz sicher, ob Sie mich gut verstanden haben. Es darf zwischen uns beiden kein Mißverständnis bestehen. Wenn ich gesagt habe, daß sämtliche Offiziere arbeiten müssen, so habe ich niemals an Sie gedacht, an Sie, ihren Chef. Meine Befehle betrafen nur die andern…«
    »Kein Offizier wird arbeiten«, sagte der Oberst und stellte sein Glas wieder auf den Tisch.
    Saito unterdrückte eine

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