Die Brüder Karamasow
Pope und der Waldhüter standen da, ohne ihre Meinung auszusprechen. Mitja trat zu dem Schlafenden und versuchte ihn zu wecken. Er versuchte es mit aller Energie, der Schläfer wachte nicht auf. »Er ist betrunken!« rief Mitja. »Was soll ich machen, o Gott, was soll ich machen?« Und er machte sich in seiner Ungeduld daran, ihm den Kopf zu schütteln, ihn hochzuheben und ihn auf die Bank zu setzen; dennoch erreichte er nach langen Bemühungen nur, daß dieser anfing, sinnlos zu brüllen und laute, aber unverständliche Flüche auszustoßen.
»Es wäre doch besser, wenn Sie warteten«, sagte der Pope endlich. »Es ist offenbar nichts mit ihm anzufangen.«
»Er hat den ganzen Tag getrunken«, bemerkte der Waldhüter.
»O Gott!« rief Mitja. »Wenn Sie wüßten, wie dringend ich mit ihm sprechen muß und in welcher Verzweiflung ich mich befinde!«
»Nein, wirklich, Sie warten besser bis zum Morgen«, sagte der Pope noch einmal.
»Bis zum Morgen? Ich bitte Sie, das ist unmöglich!«
Und erneut bemühte er sich verzweifelt, den Betrunkenen zu wecken, ließ jedoch sogleich wieder von diesem Versuch ab, als er die völlige Nutzlosigkeit seiner Bemühungen einsah. Der Pope schwieg, der verschlafene Waldhüter machte ein finsteres Gesicht.
»Was für furchtbare Tragödien spielt die Realität mit den Menschen!« sagte Mitja in heller Verzweiflung. Der Schweiß trat ihm ins Gesicht. Der Pope nutzte diesen Moment und setzte ihm sehr vernünftig auseinander, daß Gorstkin, selbst wenn es gelänge, ihn zu wecken, in seiner Betrunkenheit doch nicht imstande wäre, ein Gespräch zu führen. »Sie haben doch eine wichtige Angelegenheit, da wird es schon richtiger sein, es bis zum Morgen zu lassen.«
Mitja breitete verzweifelt die Arme aus und fügte sich.
»Ich werde in dieser Stube bleiben, Väterchen, das Licht brennen lassen und versuchen, ob ich einen geeigneten Augenblick erhaschen kann. Sowie er aufwacht, werde ich anfangen ... Das Licht, werde ich dir bezahlen«, wandte er sich an den Waldhüter. »Und das Nachtquartier ebenfalls – du sollst Dmitri Karamasow in guter Erinnerung behalten. Ich weiß nur nicht, was mit Ihnen wird, Väterchen? Wo werden Sie sich denn hinlegen?«
»Ich werde nach Hause zurückkehren. Mit seiner kleinen Stute. »Er deutete auf den Waldhüter. »So leben Sie wohl! Ich wünsche Ihnen, daß Sie alles zu Ihrer Zufriedenheit erledigen.«
So geschah es denn auch. Der Pope fuhr mit der Stute weg, froh, daß er endlich losgekommen war; und doch schüttelte er nachdenklich den Kopf und überlegte, ob er nicht gleich morgen früh Fjodor Pawlowitsch über dieses merkwürdige Ereignis benachrichtigen sollte. Sonst erfährt er es womöglich von anderer Seite, wird ärgerlich und stellt seine Spenden ein! Der Waldhüter kratzte sich im Nacken und begab sich schweigend in seine Stube. Mitja aber setzte sich auf eine Bank, um, wie er sich ausgedrückt hatte, einen geeigneten Augenblick zu erwischen. Ein tiefer Kummer lagerte sich wie schwerer Nebel auf seine Seele. Er saß da und grübelte, war aber nicht imstande, etwas klar zu überlegen. Das Licht brannte herunter, ein Heimchen zirpte, in der überheizten Stube wurde die Luft unerträglich dunstig. Plötzlich trat ihm ein Garten vor Augen, ein Gang hinter dem Garten, beim Vater öffnet sich geheimnisvoll eine Tür, und durch die Tür läuft Gruschenka hinein ... Er sprang von der Bank auf.
»Eine Tragödie!« sagte er zähneknirschend, trat unbewußt zu dem Schlafenden hin und sah ihm ins Gesicht.
Es war ein magerer, noch nicht alter Bauer, mit einem länglichen Gesicht, rötlichem, lockigem Haar, mit einem langen, dünnen, rötlichen Bärtchen. Bekleidet war er mit einem Kattunhemd und einer schwarzen Weste, aus deren Tasche die Kette einer Uhr herausschaute. Mitja betrachtete dieses Gesicht mit furchtbarem Haß, und aus einem nicht recht verständlichen Grund war ihm vor allem der Umstand verhaßt, daß der Schläfer lockiges Haar hatte. Besonders war es für ihn unerträglich beleidigend, daß er, Mitja, der so vieles geopfert und so vieles im Stich gelassen hatte, mit seiner dringenden Angelegenheit nun so erschöpft hier stand, während dieser Faulpelz, von dem jetzt sein ganzes Schicksal abhing, schnarchte, als ob gar nichts los wäre. »O Ironie des Schicksals!« rief Mitja aus und machte sich noch einmal daran, den betrunkenen Bauern zu wecken. Und zwar tat er das, nun gänzlich den Kopf verlierend, in einem richtigen Anfall von Wut; er
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