Die Brüder Karamasow
verstummten und machten sich bereit, auf den ersten Wink im Chor ein Tanzlied anzustimmen. Maximow kreischte vor Entzücken, als er hörte, daß Gruschenka selbst tanzen wollte. Er hüpfte vor ihr her und sang dazu:
»Seht, mein hübsches Schweinchen
mit den schlanken Beinchen
und dem Ringelschwänzchen,
macht ein schönes Tänzchen.«
Doch Gruschenka jagte ihn mit dem Taschentuch fort.
»Pst! Mitja! Warum kommen sie nicht? Alle sollen kommen und zusehen. Ruf auch die Eingeschlossenen ... Warum hast du sie eingeschlossen? Sag ihnen, daß ich tanzen werde! Sie sollen auch sehen, wie ich tanze ...«
Mitja ging mit den weit ausholenden Schritten eines Betrunkenen zu der verschlossenen Tür, hinter der sich die Polen befanden, und pochte mit der Faust dagegen.
»Heda, ihr! Ihr Podwysockis! Kommt heraus, sie will tanzen und läßt euch rufen!«
»Strolch!« schrie einer der beiden als Antwort.
»Und du bist ein subalterner Strolch! Ein jämmerlicher kleiner Schuft bist du, nun weißt du es!«
»Sie sollten lieber aufhören, sich über Polen lustig zu machen«, bemerkte Kalganow tadelnd; er hatte selbst mehr getrunken, als er vertragen konnte.
»Sei still, Knabe! Wenn ich ihn einen Schuft nenne, dann beschimpfe ich doch nicht ganz Polen. Ein einzelner Strolch macht nicht Polen aus. Schweig, lieber Junge, und iß ein Stückchen Konfekt!«
»Ach, ihr. Als ob ihr keine Menschen seid! Warum wollt ihr euch nicht vertragen?« sagte Gruschenka und trat vor, um zu tanzen.
Der Chor stimmte lauthals das Tanzlied »Ach du Heim, mein trautes Heim« an. Gruschenka warf den Kopf zurück, öffnete etwas die Lippen, lächelte, begann das Tuch zu schwenken und stand plötzlich, auf einem Fleck hin und her schwankend, ratlos mitten im Zimmer.
»Ich bin so schwach ...«, sagte sie mit gequälter Stimme. »Verzeiht mir, ich bin so schwach, ich kann nicht ... Ich bitte um Entschuldigung ...«
Sie verbeugte sich vor dem Chor und machte dann nach allen Seiten Verbeugungen. »Ich bitte um Entschuldigung ... Verzeiht.«
»Sie hat ein bißchen getrunken, das gnädige Fräulein ... Sie hat ein bißchen getrunken, das hübsche gnädige Fräulein«, hörte man sagen.
»Sie hat sich betrunken«, erklärte Maximow kichernd den Mädchen.
»Mitja, führ mich weg ... Nimm mich, Mitja«, bat Gruschenka kraftlos.
Mitja stürzte zu ihr, nahm sie auf die Arme und lief mit seiner kostbaren Beute hinter den Vorhang. ›Na, jetzt werde ich besser gehen!‹ dachte Kalganow, verließ das blaue Zimmer und machte beide Türflügel hinter sich zu. Doch das lärmende
Gelage im Saal dauerte an und wurde immer lauter und wilder. Mitja legte Gruschenka aufs Bett und sog sich mit einem Kuß an ihren Lippen fest.
»Rühr mich nicht an!« stammelte sie flehend. »Rühr mich nicht an, ehe ich nicht dir gehöre ... Ich habe gesagt, daß ich dir gehören will, aber rühr mich jetzt nicht an ... Schone mich ... Während die beiden nebenan sind, geht es nicht. Er ist hier. Es hier zu tun, jetzt, das wäre gemein ...«
»Ich gehorche! Ich verjage diesen Gedanken ... Ich bin andächtig gestimmt!« murmelte Mitja. »Ja, hier wäre es gemein, verachtungswürdig!«
Und ohne sie aus seinen Armen zu lassen, kniete er neben dem Bett auf dem Fußboden nieder.
»Ich weiß, du bist zwar wie ein wildes Tier, aber du hast eine edle Gesinnung«, sagte Gruschenka mit schwerer Zunge. »Es muß in Ehren geschehen ... Künftig wird es in Ehren geschehen ... Und auch wir müssen ehrenhaft sein, nicht so wie die wilden Tiere, sondern gut ... Bring mich fort, bring mich weit fort, hörst du? Ich will nicht hierbleiben, ich will weit, weit fort ...«
»Ja, ja, unbedingt!« rief Mitja und preßte sie an sich. »Ich werde dich fortbringen, wir werden davoneilen. Oh, mein ganzes Leben würde ich für ein einziges Jahr hingeben, wenn ich nur wüßte, was mit diesem Blut ist!«
»Mit welchem Blut?« fragte Gruschenka verständnislos.
»Ach, nichts weiter!« antwortete Mitja zähneknirschend. »Gruscha, du willst, daß alles ehrenhaft ist – aber ich bin ein Dieb. Ich habe Katka Geld gestohlen.... Schmach und Schande!«
»Katka? Dem Fräulein? Nein, du hast es nicht gestohlen. Gib es ihr zurück, nimm es von mir! Warum machst du deshalb so ein Geschrei? Jetzt gehört dir alles, was ich habe. Was hat Geld für uns zu bedeuten? Wir vergeuden es ja ohnehin ... Wir sind gerade die Richtigen, um vernünftig damit umzugehen! Wir beide sollten am besten hingehen und einen Acker pflügen.
Weitere Kostenlose Bücher