Die Brüder Karamasow
anzeigen, damit der Selbstmord verhindert werde, hatte ihm Mitja lächelnd geantwortet: »Damit wirst du zu spät kommen!« Also mußte man sich schleunigst an seinen jetzigen Aufenthaltsort nach Mokroje begeben, um den Verbrecher zu überrumpeln, bevor er sich wirklich erschoß. »Das ist klar, das ist klar!« sagte der Staatsanwalt in großer Erregung. »Genauso spielt sich das bei solchen Lumpen ab: Morgen werde ich mich erschießen, aber vor dem Tod will ich noch einmal flott leben!« Der Bericht, wie er in dem Laden die Weine und die Delikatessen ausgesucht hatte, brachte den Staatsanwalt noch mehr in Fahrt. »Erinnern Sie sich an den Burschen, meine Herren, der den Kaufmann Olsufjew ermordete und tausendfünfhundert Rubel stahl? Der ließ sich gleich danach frisieren und begab sich dann zu irgendwelchen Huren, ohne vorher das Geld etwa zu verstecken; er hielt es ebenfalls beinahe offen in der Hand!« Durch die Nachforschungen in Fjodor Pawlowitschs Haus sowie durch allerlei Formalitäten und dergleichen wurde man allerdings doch noch aufgehalten. Alles dies erforderte Zeit; daher schickten sie, etwa zwei Stunden vor ihrer eigenen Abfahrt nach Mokroje, den Landkommissar Mawriki Mawrikijewitsch Schmerzow voraus, der gerade am Vormittag des vorigen Tages in die Stadt gekommen war, um sein Gehalt abzuholen. Sie instruierten ihn folgendermaßen: In Mokroje angekommen, sollte er, ohne Aufsehen zu erregen, den Verbrecher bis zum Eintreffen der zuständigen Beamten unausgesetzt beobachten und dafür sorgen, daß einige ortsansässige Zeugen, Dorfpolizisten und so weiter zur Stelle waren. So verfuhr denn auch Mawriki Mawrikijewitsch; er bewahrte sein Inkognito und weihte nur Trifon Borissowitsch, der ein alter Bekannter von ihm war, teilweise in das Geheimnis ein. Zeitlich fiel das kurz vor die Begegnung Mitjas und des Wirts auf der dunklen Galerie, wobei Mitja Trifon Borissowitschs Gesicht und in seiner Redeweise eine gewisse Veränderung aufgefallen war. Jedenfalls wußte weder Mitja noch sonst jemand, daß er beobachtet wurde; den Kasten mit den Pistolen aber hatte Trifon Borissowitsch bereits heimlich an einem unauffindbaren Ort versteckt. Erst zwischen vier und fünf Uhr morgens, als es beinahe schon Tag wurde, trafen die Vertreter der Obrigkeit, Bezirkshauptmann, Staatsanwalt und Untersuchungsrichter, in zwei dreispännigen Equipagen ein. Der Arzt war im Haus Fjodor Pawlowitschs geblieben, da er am Morgen den Leichnam des Ermordeten zu sezieren beabsichtigte, hauptsächlich aber, weil er sich für den Zustand des kranken Dieners Smerdjakow interessierte. »So heftige, lang andauernde epileptische Anfälle, die sich zwei volle Tage hindurch ununterbrochen wiederholen, begegnen einem nur selten – so ein Fall gehört der Wissenschaft!« sagte er aufgeregt zu den Amtspersonen, und diese beglückwünschten ihn lachend zu seinem Fund, bevor sie abfuhren. Der Staatsanwalt und der Untersuchungsrichter erinnerten sich später genau, daß der Arzt in entschiedenem Ton hinzugefügt hatte, Smerdjakow werde den Morgen nicht mehr erleben.
Nach dieser langen, aber, wie ich glaube, unumgänglichen Auseinandersetzung kehren wir jetzt an den Punkt unserer Erzählung zurück, wo wir sie im vorigen Buch verlassen haben.
3. Die Wanderung einer Seele durch die Leiden.
Das erste Leid
Mitja saß also da und ließ seinen verstörten Blick bei allen Anwesenden herumirren, ohne zu begreifen, was zu ihm gesagt wurde. Plötzlich stand er auf, reckte die Arme in die Höhe und rief laut: »Ich bin unschuldig! An diesem Blut bin ich unschuldig! Am Blut meines Vaters bin ich unschuldig ... Ich wollte ihn töten, aber ich bin unschuldig, ich habe es nicht getan!« Kaum hatte er das gerufen, stürzte Gruschenka hinter dem Vorhang hervor und warf sich wie von Sinnen dem Bezirkshauptmann zu Füßen.
»Ich bin schuld, ich Verfluchte!« schrie sie mit herzzerreißender Stimme, das Gesicht tränenüberströmt. »Meinetwegen hat er den Mord begangen! Ich habe ihn gequält und soweit gebracht. Und auch den armen ermordeten Alten habe ich aus Bosheit gequält und dahin gebracht. Ich bin schuld, ich zuallererst, ich bin schuld!«
»Jawohl, du bist die Schuldige! Du bist die Hauptverbrecherin! Du verdammtes, liederliches Frauenzimmer, du bist die Hauptschuldige!« brüllte der Bezirkshauptmann und drohte ihr mit der Faust.
Aber man brachte ihn schnell und mit aller Entschiedenheit zur Ruhe. Der Staatsanwalt umfaßte ihn sogar mit den Armen. »Das ist
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