Drachenehre
B ehutsam legt er das schnurlose Telefon auf den massigen Schreibtisch hinter dem er bereits seit Stunden sitzt und starrt regungslos vor sich hin. Würde jetzt jemand eintreten, sähe derjenige einen gleichmütigen, in sich ruhenden Mann, einen knapp zwei Meter großen, vor Kraft nur so strotzenden Fels in der Brandung. Sein ebenmäßiges, linksseitig tätowiertes Gesicht regt sich nicht, kein Muskel unter dem maßgeschneiderten Anzug zuckt. Er ist das lebendig gewordene Abbild eines Maori Kriegergottes, der aus Stein und Wasser geboren wurde. Nichts lässt darauf schließen, dass er soeben ein sehr aufschlussreiches Gespräch hatte führen müssen. Es war ein Telefonat, das ihm mit sanfter Gewalt von der Gegenseite aufgedrängt wurde, ohne dass er sich dagegen hätte verwehren können. Was rein formal auch in Ordnung gewesen wäre, schließlich ist er 'nur' die rechte Hand vom Boss.
Und doch...
Hinter seinen ausdruckslos vor sich hinstarrenden, leuchtend blauen Augen tobt ein Taifun, bereit jeden zu verschlingen, der sich unachtsam in seinen Weg begibt. Eiskalte Wellen, aus Zorn geboren, drohen seine steinernen Mauern zu durchdringen und zerren an seiner legendären Selbstbeherrschung. Noch nie wurde er so gedemütigt, seine Position so eindeutig unterminiert und er zu einem reinen Erfüllungsgehilfen degradiert.
Nicht nur, dass er seit Wochen diesen ganzen Verwaltungsmist an den Hacken kleben hat, weil der Boss anderweitig beschäftigt ist. Oh, nein! Jetzt kommt auch noch dieser verfluchte Rat daher und will ihm vorschreiben, dass er Babysitter für die Tochter des Ersten zu spielen hat!
Er! Takere Tarakona, Träger und Wächter des ältesten und mächtigsten Wasserdrachen, soll doch tatsächlich für ein pubertierendes Gör das verfickte Kindermädchen geben!
Beide Hände flach auf die polierte Holzfläche vor ihm legend, lehnt er sich langsam zurück und schließt die Augen. Nur die sich kurz blähenden Nasenflügel würden einem aufmerksamen Beobachter zeigen, wie sehr er sich zusammenreißen muss, um nicht das Telefon mit einem gezielten Schlag in seine Einzelteile zu zerlegen.
Pah! Diesem verkommenen, machtgeilen Rat wird er es zeigen! Wenn die Kleine heulend unter Daddys Rockschöße zurück kriecht, werden sie schon sehen, was sie davon haben, ein Kind als Spionin in das Haus des Sirrusch ta'Marduk zu senden!
Es überhaupt zu wagen ist schon ein Affront ohne Gleichen, denn dass sein Herr nicht um diese Art von „Unterstützung“ zur „Eingliederung“ der neugeschaffenen Unsterblichen nachgefragt hatte, war ihm klar. Ganz egal in welch güldene, honigtriefende Worte der Erste Ratsherr es gekleidet hat, es ist ein Einbruch in die Privatsphäre des Hauses ta'Marduk und das kann er nicht dulden. Er wird dem kleinen, intriganten Gör die Hölle auf Erden bereiten und dafür sorgen, dass sie wieder verschwunden ist, wenn Sirrusch mit seiner Gefährtin in drei Wochen eintrifft. Bei allen Göttern der Unterwelten, er wird sie mit einem Fußtritt in den Vulkan zurück befördern, aus dem sie gekrochen ist!
E in leises Lächeln umspielt seine Lippen, als sein Plan zu reifen beginnt und er sich akribisch an die Umsetzung macht.
Die falsche Schlange wird sich noch wundern, mit welch ausgesuchter Höflichkeit ihr das Leben in diesem Haus zur Hölle gemacht werden wird. Er drückt einen verborgenen Knopf unter dem Tisch und veranlasst eine Zusammenkunft sämtlicher Mitglieder des Hauses ta'Marduk. Seine Instruktionen sind präzise und fehlerlos, seine Stimme ist ruhig und beherrscht. Niemand, der nicht zum innersten Kern der Kriegertruppe um Sirrusch gehört, würde erkennen, was genau er da gerade beauftragt hat. Die Jungs heben zwar ab und an erstaunt eine Augenbraue, aber widersprechen nicht, schließlich sind sie es gewohnt seinen Anweisungen respektvoll Folge zu leisten. Seine Lippen zucken leicht, als er sich das Gesicht der Göre vorstellt, wenn sie erkennt, dass sie von echter Loyalität umgeben ist, wenn sie feststellen wird, dass sich kein Mitglied dieses Hauses korrumpieren lässt. Aber das wird ihr erst aufgehen, nachdem sie ihre großzügigen Bestechungsgelder in rauen Mengen unter die Leute gebracht hat. Und das Schönste an der Sache ist, dass sie das Geld nicht wird zurückfordern können, weil sie dann zugeben müsste, dass sie versucht, hat den Frieden des Hauses ta'Marduk zu stören. Was beinahe einer offenen Kriegserklärung in ihren Kreisen gleichkommt.
Wer sich ungefragt in die
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