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Die Brüder Karamasow

Die Brüder Karamasow

Titel: Die Brüder Karamasow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
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in das Haus ihres Großvaters. In beruflicher Hinsicht war es mit Michail Makarowitsch nicht weit her; jedoch erfüllte er seine Pflicht nicht schlechter als viele andere. Geradeheraus gesagt, er war ein ziemlich ungebildeter Mensch und gab sich keine sonderliche Mühe, die Grenzen seiner administrativen Gewalt klar zu erkennen. Manche Reformen der neuzeitlichen Regierung hätte er zwar durchaus begreifen können, doch er legte sie falsch aus, mitunter sogar sehr falsch, und zwar nicht infolge einer besonderen Unfähigkeit, sondern einfach aus Sorglosigkeit des Charakters; er nahm sich nie die Zeit, sich in etwas zu vertiefen. »Ich bin meinem ganzen Wesen nach mehr Militär als Zivilist, meine Herren«, pflegte er selbst von sich zu sagen. Sogar über die Bauernreform schien er noch immer nicht zu klaren Vorstellungen gelangt zu sein; er lernte auf diesem Gebiet sozusagen in jedem Jahr ein bißchen hinzu, indem er seine Kenntnisse unwillkürlich durch die Praxis vermehrte – und dabei war er selber Gutsbesitzer. Pjotr Iljitsch wußte genau, daß er an diesem Abend bei Michail Makarowitsch auf jeden Fall Besuch vorfinden würde; nur wußte er nicht, wen. Nun saßen dort beim Whist ausgerechnet der Staatsanwalt und unser Kreisarzt Warwinski, ein junger Mann, der eben erst aus Petersburg gekommen war, nachdem er dort die medizinische Akademie mit glänzendem Erfolg absolviert hatte. Der Staatsanwalt Ippolit Kirillowitsch, der eigentlich nur Gehilfe des Staatsanwalts war, bei uns aber allgemein »Staatsanwalt« genannt wurde, war ein eigenartiger Mensch, noch nicht alt, erst um die fünfunddreißig Jahre, doch bereits stark zur Schwindsucht neigend, verheiratet mit einer sehr korpulenten Dame, kinderlos, ehrgeizig und reizbar, jedoch begabt mit solidem Verstand, ja sogar gutmütig. Verhängnisvoll wurde ihm offenbar nur eine bestimmte Charaktereigenschaft: Er dachte von sich besser, als seine wirklichen Anlagen ihm erlaubten. Und das war auch der Grund, weshalb er sich ständig in Unruhe befand. Außerdem erhob er gewisse höhere Ansprüche, auch auf künstlerisch-wissenschaftlichem Gebiet; so hielt er sich zum Beispiel für einen Psychologen, für einen besonderen Kenner der menschlichen Seele, und glaubte, er besitze die hervorragende Gabe, einen Verbrecher und sein Verbrechen zu erkennen und zu verstehen. In dieser Hinsicht fühlte er sich dienstlich etwas zurückgesetzt und übergangen und war der Überzeugung, daß man ihn »dort oben« nicht zu schätzen wisse und daß er seine Feinde habe. In Augenblicken des Unmuts drohte er sogar damit, Verteidiger in Kriminalprozessen zu werden. Der unerwartete Karamasowsche Vatermordprozeß rüttelte ihn aus seiner Verstimmung auf; er sagte sich: ›Das ist ein Prozeß, der in ganz Rußland bekannt werden kann...‹ Doch damit greife ich bereits vor.
    Im Nebenzimmer, bei den jungen Damen, saß unser junger Untersuchungsrichter Nikolai Parfjonowitsch Neljudow, der erst vor zwei Monaten aus Petersburg zu uns gekommen war. Später hat man bei uns darüber geredet und sich darüber gewundert, daß alle diese Personen am Abend des Verbrechens wie auf Verabredung im Haus der exekutiven Gewalt zusammengekommen waren. Und doch war die Sache ganz einfach, und es ging alles höchst natürlich zu: Ippolit Kirillowitschs Gattin hatte schon seit dem vorigen Tag Zahnschmerzen; daher mußte er irgendwohin laufen, um das Gestöhn nicht anzuhören, und der Arzt konnte seinem Charakter nach abends nur am Kartentisch sein. Nikolai Parfjonowitsch Neljudow schließlich hatte sich schon vor drei Tagen vorgenommen, an diesem Abend bei Michail Makarowitsch zu sein, sozusagen zufällig, um dessen älteste Enkelin Olga Michailowna listig damit zu überraschen, daß er ein Geheimnis von ihr kennt, daß er weiß, sie hat heute Geburtstag und wünscht dies absichtlich vor ihren Bekannten geheimzuhalten, um nicht alle zum Tanzen einladen zu müssen. Neljudow sagte sich im voraus, das könnte Stoff zum Lachen gehen; er würde Anspielungen auf ihr Alter machen, als ob sie sich scheute, es bekannt werden zu lassen; er würde drohen, am nächsten Tag allen von ihrem Geheimnis zu erzählen, und so weiter und so fort. Der liebenswürdige junge Mann war in dieser Hinsicht geradezu ein Lausbub, und daher nannten ihn denn auch unsere Damen »Lausbub« – ein Spitzname, der ihm sehr zu gefallen schien. Übrigens stammte er aus einer guten Familie, hatte eine gute Erziehung genossen und besaß eine gute Denkart;

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