Die Brüder Karamasow
weitgeöffneten Augen an.
»Das ... muß das Kuvert des Vaters sein«, murmelte er. »Das, in dem die dreitausend Rubel lagen ... Und dann die Aufschrift, erlauben Sie: ›Für mein liebes Küken‹ ... Und da: ›Dreitausend‹!« rief er. »›Dreitausend‹, sehen Sie?«
»Gewiß, wir sehen es, das Geld aber haben wir nicht mehr darin gefunden, das Kuvert war leer und lag auf dem Fußboden am Bett, hinter dem Wandschirm.«
Einige Sekunden stand Mitja wie betäubt da.
»Meine Herren, das ist Smerdjakow gewesen!« schrie er auf einmal aus voller Kehle. »Der hat ihn ermordet, der hat ihn beraubt! Er allein wußte, wo der Alte das Kuvert versteckt hatte ... Er ist es gewesen, jetzt ist es klar!«
»Aber Sie wußten ja auch, daß das Kuvert unter dem Kopfkissen lag.«
»Niemals habe ich das gewußt, ich habe es überhaupt nie gesehen, ich erblicke es jetzt zum erstenmal, vorher habe ich nur von Smerdjakow etwas darüber gehört ... Er allein wußte, wo der Alte es versteckt hatte, ich wußte es nicht ...
Mitja war ganz außer Atem gekommen.
»Und doch haben Sie selbst uns vorhin gesagt, das Kuvert hätte bei Ihrem verstorbenen Vater unter dem Kopfkissen gelegen. Sie sagten ausdrücklich: ›unter dem Kopfkissen‹ – also wußten Sie doch, wo es lag.«
»Wir haben es so auch festgehalten«, fügte Nikolai Parfjonowitsch bestätigend hinzu.
»Unsinn, reiner Unsinn! Ich wußte absolut nicht, daß es unter dem Kopfkissen lag. Und vielleicht hat es überhaupt nicht unter dem Kopfkissen gelegen ... Ich habe aufs Geratewohl gesagt, es hätte unter dem Kopfkissen gelegen ... Was sagt denn Smerdjakow? Haben Sie ihn gefragt, wo es gelegen hat? Was sagt Smerdjakow? Das ist die Hauptsache ... Ich habe absichtlich gelogen, zu meinem Schaden ... Ich habe Ihnen, ohne viel nachzudenken, vorgelogen, es hätte unter dem Kopfkissen gelegen, und das glauben Sie jetzt ... Na, wissen Sie, da kommt einem so ein Wort auf die Zunge, man lügt. Aber gewußt hat es nur Smerdjakow, sonst niemand! Er hat auch mir nicht gesagt, wo es lag! Er ist es gewesen, er muß ihn totgeschlagen haben, hundertprozentig, das ist mir jetzt sonnenklar!« rief Mitja. Er geriet mehr und mehr außer sich, wiederholte sich, redete unzusammenhängend und hastig. »Begreifen Sie das doch, und verhaften Sie ihn so schnell wie möglich! Er hat ihn ermordet, als ich weglief und Grigori bewußtlos dalag, das ist jetzt klar ... Er hat das Signal gegeben, und der Vater hat ihm aufgemacht ... Denn er war auch der einzige, der die Signale kannte, und ohne die Signale hätte der Vater niemandem geöffnet ...«
»Aber Sie vergessen wieder den Umstand«, bemerkte der Staatsanwalt, noch immer in der gleichen gemessenen Weise, nun jedoch schon fast triumphierend, »daß es nicht nötig war, Signale zu geben, wenn die Tür offenstand, schon als Sie sich im Garten befanden ... »
»Die Tür, die Tür!« murmelte Mitja und starrte den Staatsanwalt schweigend an; dann sank er kraftlos auf den Stuhl zurück.
Alle schwiegen.
»Ja, die Tür! Das ist ein Phantom! Gott ist gegen mich!« rief er und blickte geistesabwesend vor sich hin.
»Sehen Sie und urteilen Sie selbst, Dmitri Fjodorowitsch«, sagte der Staatsanwalt in gewichtigem Ton. »Auf der einen Seite diese Aussage von der offenstehenden Tür, durch die Sie angeblich herausgelaufen sein sollen – eine Aussage, die Sie wie uns befremdet. Auf der anderen Seite Ihr unbegreifliches, hartnäckiges und beinahe erbittertes Schweigen über die Herkunft des Geldes, das plötzlich in Ihren Händen war, während Sie nach Ihrer eigenen Aussage noch drei Stunden vorher Ihre Pistolen versetzten, um nur zehn Rubel zu bekommen! Entscheiden Sie in Anbetracht aller dieser Umstände bitte selbst: Was sollen wir glauben, worauf sollen wir uns verlassen? Und machen Sie uns bitte keine Vorwürfe, wir seien kalte Zyniker und Spötter, außerstande, Ihren edelsten Herzensregungen zu glauben ... Versetzen Sie sich vielmehr auch in unsere Lage ...«
Mitja befand sich in unbeschreiblicher Erregung; er war ganz blaß geworden.
»Nun gut!« rief er plötzlich. »Ich werde Ihnen mein Geheimnis enthüllen! Ich werde Ihnen gestehen, wo ich das Geld herhatte, damit ich später weder Ihnen noch mir einen Vorwurf zu machen brauche.«
»Und Sie dürfen glauben, Dmitri Fjodorowitsch«, fiel Nikolai Parfjonowitsch mit gerührter und erfreuter Stimme ein, »daß Ihnen jedes aufrichtige, umfassende Geständnis, das Sie jetzt machen, Ihr Schicksal
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