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Die Brüder Karamasow

Die Brüder Karamasow

Titel: Die Brüder Karamasow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
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geglaubt«, antwortete sie mit fester Stimme. »Ich verließ mich auf seine edle Gesinnung.«
    »Meine Herren!« rief Mitja plötzlich. »Erlauben Sie, daß ich in Ihrer Gegenwart zu Agrafena Alexandrowna nur ein Wort sage?«
    »Sprechen Sie«, entschied Nikolai Parfjonowitsch.
    »Agrafena Alexandrowna!« sagte Mitja und stand von seinem Stuhl auf. »Glaube mir, was ich dir bei Gott sage: Am Blut meines ermordeten Vaters bin ich unschuldig!«
    Nachdem er das gesagt hatte, setzte er sich wieder. Gruschenka erhob sich und bekreuzte sich andächtig, zu dem Heiligenbild gewandt.
    »Gelobt seist du, mein Herrgott!« sagte sie warm und innig, und ehe sie sich wieder auf ihren Platz setzte, sagte sie noch zu Nikolai Parfjonowitsch: »Glauben Sie, daß es so ist, wie er es jetzt gesagt hat! Ich kenne ihn, er schwatzt vieles zusammen, sei es zum Spaß, sei es aus Trotz. Doch wenn es gegen das Gewissen geht, wird er nie lügen. Dann wird er immer die Wahrheit sagen, das können Sie glauben!«
    »Ich danke dir, Agrafena Alexandrowna! Du hast mich wieder innerlich aufgerichtet! » sagte Mitja mit zitternder Stimme.
    Auf die Fragen, die das Geld betrafen, erklärte sie, sie wisse nicht, wieviel es war, habe ihn aber gestern mehrmals zu den Leuten sagen hören, er habe dreitausend Rubel mitgebracht. Über die Herkunft des Geldes habe er ihr allein gesagt, er habe es Katerina Iwanowna gestohlen; und sie selbst habe ihm geantwortet, gestohlen habe er es nicht und er müsse das Geld nur gleich morgen zurückgeben. Auf die beharrliche Frage des Staatsanwalts, welches Geld er angeblich Katerina Iwanowna gestohlen habe, das gestrige oder die dreitausend Rubel, die hier vor einem Monat ausgegeben wurden, erklärte sie, er habe von dem letzteren gesprochen, und sie habe es so verstanden.
    Endlich wurde Gruschenka entlassen, wobei ihr Nikolai Parfjonowitsch beflissen auseinandersetzte, sie könne jetzt in die Stadt zurückkehren, und wenn er ihr irgendwie behilflich sein könne, zum Beispiel mit einem Fuhrwerk oder mit einem Begleiter, so würde er seinerseits ...
    »Ich danke Ihnen verbindlich«, erwiderte Gruschenka mit einer Verbeugung, »aber ich werde mit dem alten Gutsbesitzer zurückkehren, das heißt, ich werde ihn hinbringen. Doch zunächst werde ich, wenn Sie erlauben, unten abwarten, wie Sie hier über Dmitri Fjodorowitsch entscheiden.«
    Sie ging hinaus. Mitja war ruhig und schien sogar allen Mut wiedergewonnen zu haben, aber das dauerte nur einen Augenblick. Eine seltsame körperliche Schwäche überkam ihn mehr und mehr, die Augen fielen ihm vor Müdigkeit zu. Endlich war die Vernehmung der Zeugen abgeschlossen, und man schritt zur endgültigen Redaktion des Protokolls. Mitja stand auf und ging in die Ecke am Vorhang, legte sich auf eine große, mit einem Teppich bedeckte Truhe und war im nächsten Moment eingeschlafen. Da hatte er einen seltsamen Traum, der gar nicht zu dem Ort und der Zeit zu passen schien. Es war ihm, als fahre er irgendwo durch die Steppe, in der Gegend, wo er früher beim Militär gedient hatte, und ihn fahre auf einem zweispännigen Wagen bei einem Hundewetter ein Bauer. Mitja friert; es ist Anfang November, der Schnee fällt in dicken, feuchten Flocken und taut, sowie er auf die Erde kommt. Der Bauer fährt flott drauflos und schwingt munter die Peitsche; er hat einen langen, blonden Bart und ist ungefähr fünfzig Jahre alt, er trägt einen grauen Bauernkittel. Da taucht nicht weit entfernt ein Dorf auf. Mitja erblickt schwarze, ganz schwarze Hütten; die Hälfte der Hütten ist verbrannt, und nur die verkohlten Balken ragen in die Luft. An der Dorfeinfahrt haben sich an der Landstraße Frauen aufgestellt, viele Frauen, eine ganze Reihe, alle mager und abgezehrt; ihre Gesichter sehen ganz braun aus. Da ist besonders eine Frau am Ende der Reihe, eine knochige, hohe Gestalt: Sie scheint etwa vierzig Jahre alt zu sein, vielleicht aber auch erst zwanzig; sie hat ein langes, mageres Gesicht, und auf dem Arm trägt sie ein weinendes, kleines Kind, und ihre Brust ist wohl ganz ausgetrocknet, kein Tropfen Milch ist darin. Und das Kind weint und weint und streckt die nackten Ärmchen mit den kleinen Fäustchen aus, und die Ärmchen sind vor Kälte ganz blau.
    »Warum weinen sie?« fragte Mitja, während er an ihnen vorüberfliegt.
    »Das Kindelein«, antwortet ihm der Kutscher, »das Kindelein weint.«
    Und es fällt Mitja auf, daß er »das Kindelein« gesagt hat. Und es gefällt ihm, daß der Bauer das

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