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Die Brüder Karamasow

Die Brüder Karamasow

Titel: Die Brüder Karamasow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
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ein.
    »Troja gründeten Teukros, Dardannos, Ilus und Tros«, sagte der Junge klar und deutlich und wurde dann plötzlich so rot, daß er einem leid tun konnte. Die anderen blickten ihn lange starr an, dann wandten sich alle zu Kolja um. Kolja maß den Kleinen noch immer mit seinem geringschätzigen Blick.
    »Und wie haben sie es denn gegründet?« ließ er sich endlich herab zu fragen. »Und was bedeutet das überhaupt: eine Stadt oder einen Staat gründen? Was haben sie denn gemacht? Sind sie hingekommen und haben jeder einen Ziegelstein hingelegt, ja?«
    Es erscholl Gelächter. Die Röte des Jungen steigerte sich zu dunklem Purpur; er schwieg und war nahe daran loszuweinen.
    Kolja ließ ihn noch ungefähr eine Minute lang in dieser unangenehmen Situation.
    »Wenn man von solchen historischen Ereignissen sprechen will, wie es die Gründung von Nationen ist, muß man vor allen Dingen verstehen, was das bedeutet«, sagte er streng und gemessen in belehrendem Ton. »Ich messe übrigens allen diesen Altweibergeschichten keinen Wert bei und schätze überhaupt die Weltgeschichte nicht sehr hoch ein«, fügte er dann, an alle gewandt, lässig hinzu.
    »Die Weltgeschichte, sagten Sie?« fragte der Stabskapitän, der einen richtigen Schreck bekommen hatte.
    »Jawohl, die Weltgeschichte. Sie ist die wissenschaftliche Erforschung einer Reihe menschlicher Dummheiten, weiter nichts. Ich schätze nur die Mathematik und die Naturwissenschaften«, verkündete Kolja und warf einen flüchtigen Blick auf Aljoscha; der war hier der einzige, dessen Urteil er fürchtete.
    Doch Aljoscha blieb ernst und stumm wie vorher. Hätte Aljoscha jetzt gleich etwas gesagt, hätte die Sache damit ihren Abschluß finden können; aber Aljoscha schwieg, und sein Schweigen konnte geringschätzig sein. So wurde denn Kolja ganz nervös.
    »Und dann diese klassischen Sprachen! Der reine Blödsinn, weiter nichts ... Sie scheinen wieder nicht meiner Meinung zu sein, Karamasow?«
    »Nein, ich bin nicht ihrer Meinung«, erwiderte Aljoscha zurückhaltend und lächelte.
    »Wenn Sie meine ganze Meinung über die klassischen Sprachen hören wollen, so muß ich sagen: Sie sind eine Polizeimaßregel. Das ist der einzige Zweck, zu dem sie eingeführt worden sind!« sagte Kolja, dem allmählich wieder das Atmen schwer wurde. »Sie sind eingeführt worden, weil sie langweilig sind und die Fähigkeiten abstumpfen. Es war ohnehin schon langweilig, und da überlegten die Regierenden: Was sollen wir tun, damit es noch langweiliger wird? Es war schon sinnlos, und da überlegten sie: Was sollen wir tun, damit es noch sinnloser wird? So verfielen sie auf die klassischen Sprachen. Das ist meine ganze Meinung darüber, und ich hoffe, daß ich sie nie ändern werde«, schloß Kolja scharf.
    Auf seinen Backen waren rote Flecke erschienen.
    »Das ist wahr«, stimmte ihm Smurow, der eifrig zugehört hatte, mit seiner hellen Stimme überzeugt zu.
    »Und dabei ist er selber der beste in Latein!« rief einer aus der Gruppe.
    »Ja, Papa, das sagt er so. Aber er ist in seiner Klasse der beste in Latein«, fiel auch Iljuscha ein.
    »Was hat das damit zu tun?« erwiderte Kolja, der es für nötig hielt, sich zu verteidigen, obgleich ihm auch dieses Lob sehr angenehm war. »Ich ochse Latein, weil es notwendig ist und weil ich meiner Mutter versprochen habe, das Gymnasium zu absolvieren, und meiner Ansicht nach muß man das, was man sich einmal vorgenommen hat, auch gut machen. Aber im Grunde meines Herzens verachte ich das klassische Altertum und diese ganze Gemeinheit ... Sie sind nicht meiner Meinung, Karamasow?«
    »Nun, warum soll das eine Gemeinheit sein?« fragte Aljoscha und lächelte wieder.
    »Ich bitte Sie, die Klassiker sind sämtlich in alle Sprachen übersetzt, also brauchten die Regierenden das Latein gar nicht zum Studium der Klassiker, sondern einzig und allein als Polizeimaßregel und zur Abstumpfung der Fähigkeiten. Unter diesen Umständen verdient es doch wohl eindeutig den Namen ›Gemeinheit‹?«
    »Wer hat Sie das alles bloß gelehrt?« rief Aljoscha erstaunt.
    »Erstens bin ich selbst imstande, das zu begreifen, ohne daß es mich jemand lehrt, und zweitens hat das, was ich eben über die übersetzten Klassiker sagte, der Lehrer Kolbasnikow selber laut vor der ganzen Klasse gesagt ...«
    »Der Doktor ist gekommen!« rief auf einmal Ninotschka, welche die ganze Zeit geschwiegen hatte.
    In der Tat war Frau Chochlakowas Equipage vorgefahren. Der Stabskapitän, der den

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