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Die Brüder Karamasow

Die Brüder Karamasow

Titel: Die Brüder Karamasow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
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ich weiter nichts davon gelesen habe?‹ ging es Kolja flüchtig durch den Kopf; und er zuckte bei diesem Gedanken zusammen.
    »O nein, ich lache nicht und glaube durchaus nicht, daß Sie mit etwas vorgeschwindelt haben. Und zwar deshalb nicht, weil das alles leider tatsächlich wahr ist! Aber sagen Sie mal, Puschkin haben Sie doch gelesen, den Onegin? Sie sprachen ja soeben von Tatjana?«
    »Nein, ich habe ihn noch nicht gelesen, ich will ihn lesen. Ich bin frei von vorgefaßten Meinungen, Karamasow. Ich will die eine wie die andere Partei hören. Warum haben Sie danach gefragt?«
    »Ich fragte nur so.«
    »Sagen Sie, Karamasow, Sie verachten mich wohl sehr?« sagte Kolja unvermittelt und richtete sich vor Aljoscha auf, als wollte er sich in Kampfpositur stellen. »Tun Sie mir den Gefallen und antworten Sie ohne Umschweife?«
    »Ich soll Sie verachten?« fragte Aljoscha verwundert. »Warum sollte ich das tun? Es tut mir nur leid, daß eine prächtige Natur wie Sie schon von diesem groben Unsinn verdorben ist, ehe sie richtig angefangen hat zu leben.«
    »Wegen meiner Natur machen Sie sich bitte keine Sorgen!« unterbrach ihn Kolja nicht ohne Selbstgefälligkeit. »Und daß ich mißtrauisch bin, das ist nun einmal so. Das ist eine Dummheit von mir, eine Grobheit. Sie lächelten eben, und da schien es mit, als ob Sie ...«
    »Ach, ich lächelte über etwas ganz anderes. Ich will ihnen sagen, worüber. Ich las kürzlich einen Ausspruch, den ein in Rußland lebender Deutscher über unsere heutige Schuljugend getan hat. ›Zeigen Sie‹, schreibt er, ›einem russischen Schüler eine Karte des Sternenhimmels, von der er bisher nicht die geringste Kenntnis gehabt hat, und er wird ihnen morgen diese Karte korrigiert zurückgeben.‹ Keine Kenntnisse und ein grenzenloses Selbstbewußtsein – das ist es, was dieser Deutsche über den russischen Schüler aussagen wollte.
    »Aber das ist ja vollkommen richtig!« rief Kolja lachend. »Bravo, Deutscher! Nur hat der Deutsche die gute Seite übersehen, meinen Sie nicht auch? Selbstbewußtsein, das mag sein, das kommt von dem jugendlichen Alter, das bessert sich, wenn eine Besserung überhaupt erforderlich ist. Aber dafür haben wir die Unabhängigkeit des Denkens gleich von Kindheit an, dafür haben wir die Kühnheit der Ideen und der Anschauungen, und nicht den deutschen Geist sklavischer Kriecherei vor Autoritäten ... Trotzdem hat der Deutsche das gut gesagt! Bravo, Deutscher! Allerdings muß man die Deutschen trotzdem erwürgen. Mögen sie auch in der Wissenschaft stark sein, erwürgen muß man sie trotzdem ...«
    »Wofür muß man sie denn erwürgen?« fragte Aljoscha lächelnd.
    »Na, ich habe vielleicht Unsinn geschwatzt, ich gebe es zu. Ich bin manchmal ein schrecklicher Kindskopf, und wenn ich mich über etwas freue, kann ich mich nicht beherrschen und fange an, Unsinn zu schwatzen ... Hören Sie mal, wir schwatzen hier beide dummes Zeug, aber dieser Doktor hält sich schon ziemlich lange auf. Womöglich untersucht er noch das ›Mamachen‹ und die gelähmte Ninotschka. Wissen Sie, diese Ninotschka hat mir gefallen. Als ich hereinkam, flüsterte sie mir zu: ›Warum sind Sie nicht früher gekommen?‹ Und so vorwurfsvoll! Ich glaube, sie hat ein sehr gutes Herz und verdient das größte Mitleid.«
    »Ja, ja! Und wenn Sie nun öfter kommen, werden Sie sehen, was für ein herrliches Wesen sie ist! Es wird für Sie sehr nützlich sein, solche Wesen kennenzulernen, damit Sie auch vieles andere schätzenlernen, was Sie aus dem Umgang mit ihnen erfahren«, sagte Aljoscha warm. »Das wird am meisten zu ihrer Wandlung beitragen.«
    »Oh, wie sehr ich es bedauere und mit mir schimpfe, daß ich nicht früher gekommen bin!« rief Kolja aufrichtig betrübt.
    »Ja, das ist sehr schade. Sie haben selbst gesehen, wie sehr sich der arme Kleine über ihr Kommen freute. Wie hat er sich gequält, als er auf Sie wartete!«
    »Sprechen Sie nicht weiter! Sie zerreißen mir das Herz. Aber es geschieht mir ganz recht! Ich blieb fern aus egoistischem Ehrgeiz und gemeiner Herrschsucht, von der ich mich einfach nicht frei machen kann, obgleich ich mich mein Leben lang bemühe. Ich sehe jetzt ein, daß ich in vieler Hinsicht ein Schuft bin, Karamasow!«
    »Nein, Sie sind eine prächtige Natur, allerdings verdorben, und ich begreife durchaus, warum Sie einen solchen Einfluß auf diesen empfindsamen Jungen gewinnen konnten!« antwortete Aljoscha eifrig.
    »Und das sagen Sie mir, Sie!« rief Kolja.

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