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Die Brüder Karamasow

Die Brüder Karamasow

Titel: Die Brüder Karamasow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
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vor diesem Augenblick und wünschte die Leidende zu schonen. Um so schwieriger wurde der Auftrag, mit dem er gekommen war. Er begann wieder von Mitja zu reden.
    »Das hat nichts zu sagen, seien Sie seinetwegen ganz unbesorgt!« begann Katja wieder hartnäckig und in scharfem Ton. »Das dauert bei ihm alles immer nur einen Augenblick, ich kenne ihn, ich kenne dieses Herz nur zu gut. Seien Sie überzeugt, daß er einwilligen wird, zu fliehen. Und die Hauptsache ist, daß es nicht in allernächster Zukunft geschehen soll; er wird noch genug Zeit haben, seinen Entschluß zu fassen. Iwan Fjodorowitsch wird dann wieder gesund sein und alles selber leiten, so daß ich dabei nichts zu tun haben werde. Seien Sie unbesorgt, er wird einwilligen. Und er ist auch jetzt schon damit einverstanden: Kann er sich etwa von dieser Kreatur trennen? An seinen Strafort wird man sie nicht lassen – wie sollte er also unter diesen Umständen nicht fliehen wollen? Die Hauptsache ist nur, er hat Angst vor Ihnen. Er fürchtet, Sie könnten vom moralischen Standpunkt aus die Flucht nicht billigen. Aber Sie müssen sie ihm großmütig erlauben, wenn Ihr Ja nun einmal unumgänglich ist«, fügte Katja giftig hinzu.
    Sie schwieg ein Weilchen und lächelte.
    »Er redet da von irgendwelchen Hymnen, von einem Kreuz, das er tragen muß, von einer Schuld. Ich erinnere mich, daß mir Iwan Fjodorowitsch seinerzeit viel davon erzählt hat – wenn Sie wüßten, wie er das erzählte!« rief Katja plötzlich in einem unaufhaltsamen Gefühlsausbruch. »Wenn Sie wüßten, wie er diesen Unglücklichen liebte, als er mir das von ihm erzählte, und wie er ihn vielleicht im gleichen Moment haßte! Ich aber, ich lächelte damals stolz, als ich seine Erzählung hörte und seine Tränen sah! Oh, so eine Kreatur! Die Kreatur bin ich! Ich bin daran schuld, daß er Nervenfieber bekommen hat! Und der andere, der Verurteilte, ist der etwa bereit zu leiden?« schloß Katja gereizt. »Kann so ein Mensch denn überhaupt leiden? Solche Menschen wie er leiden niemals!«
    Ein Gefühl wie Haß, Verachtung, ja Ekel war aus dem Klang dieser Worte herauszuhören. Und dabei war sie es doch gewesen, die ihn verraten hatte. ›Vielleicht haßt sie ihn in manchen Augenblicken gerade deshalb, weil sie sich ihm gegenüber schuldig fühlt?‹ dachte Aljoscha im stillen. Er wünschte sehr, daß das nur »in manchen Augenblicken« der Fall sein möchte. Aus Katjas letzten Worten hörte er eine Herausforderung heraus, doch er nahm sie nicht an.
    »Ich habe Sie heute zu mir bitten lassen, damit Sie mir versprechen, ihn selbst zu überreden. Oder wäre es Ihrer Ansicht nach unehrenhaft zu fliehen, nicht heldenmütig – oder wie drückt man sich da aus? Nicht christlich, wie?« fügte Katja noch herausfordernder hinzu.
    »Nein, das ist nicht der Fall. Ich werde ihm alles sagen ...«, murmelte Aljoscha. »Er läßt Sie bitten, heute zu ihm zu kommen«, fügte er plötzlich unvermittelt hinzu, wobei er ihr fest in die Augen sah. Sie zuckte zusammen und wich auf dem Sofa jäh vor ihm zurück.
    »Mich ... Ist denn das möglich?« stammelte sie und wurde blaß.
    »Das ist möglich, und das ist Ihre Pflicht!« sagte Aljoscha energisch und plötzlich ganz lebhaft. »Er braucht Sie sehr, gerade jetzt. Ich würde nicht davon anfangen und Sie nicht vor der Zeit quälen, wenn es nicht notwendig wäre. Er ist krank, er ist wie geistesgestört, er verlangt immerzu nach Ihnen. Er bittet Sie nicht zur Versöhnung zu sich. Es genügt, wenn Sie nur hinkommen und sich auf der Schwelle zeigen. Mit ihm ist seit jenem Tag vieles vorgegangen. Er sieht ein, wie sehr er sich gegen Sie vergangen hat. Nicht Ihre Verzeihung ist das, was er möchte. ›Mir kann nicht verziehen werden‹, sagt er selbst. Er bittet Sie nur, sich auf der Schwelle zu zeigen.
    »Sie haben mich so plötzlich ...«, stammelte Katja. »Ich habe alle diese Tage geahnt, daß Sie mit diesem Wunsch kommen würden ... Ich habe es geradezu gewußt, daß er mich würde rufen lassen! Doch es ist unmöglich!«
    »Mag es unmöglich sein – aber tun Sie es! Bedenken Sie, daß er sich zum erstenmal tief ergriffen fühlt durch die Erkenntnis, wie sehr er Sie gekränkt hat, zum erstenmal in seinem Leben! Früher hat er das nie in diesem Umfang gesehen. Er sagt: ›Wenn sie sich weigert zu kommen, werde ich mein Leben lang unglücklich sein!‹ Hören Sie, einer, der zu zwanzig Jahren Zwangsarbeit verurteilt ist, möchte noch glücklich sein – ist das

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