Die Brüder Karamasow
in so lautes Schluchzen aus, daß man es im ganzen Saal hörte; seine Stimme hatte einen eigentümlich fremden, neuen, unerwarteten Klang – Gott weiß woher. Oben auf der Galerie, im hintersten Winkel, ertönte der durchdringende Schrei einer Frau: Es war Gruschenka. Sie hatte durch ihre flehentlichen Bitten jemand erweichen können und war noch vor dem Beginn der Plädoyers wieder in den Saal gelassen worden. Mitja wurde abgeführt. Die Urteilsverkündung wurde auf den nächsten Tag verschoben, das Publikum erhob sich in wildem Chaos. Ich wartete jedoch nicht länger und hörte auch nicht mehr zu. Ich habe nur einige Äußerungen behalten, die ich schon auf den Stufen vor dem Ausgang vernahm.
»Zwanzig Jahre Bergwerk dürften ihm sicher sein.«
»Mindestens.«
»Ja, unsere Bauern haben ihren Kopf für sich.«
»Und haben unseren Mitenka erledigt.«
Epilog
1. Pläne zu Mitjas Rettung
»Am fünften Tag nach der Gerichtsverhandlung, morgens, noch vor neun Uhr, kam Aljoscha zu Katerina Iwanowna, um mit ihr endgültig eine für sie beide wichtige Angelegenheit zu besprechen; außerdem hatte er noch einen Auftrag an sie. Sie saß und sprach mit ihm in demselben Zimmer, wo sie einstmals Gruschenka empfangen hatte; nebenan, in einem anderen Zimmer, lag Iwan Fjodorowitsch krank an Nervenfieber und besinnungslos. Daß Iwan Fjodorowitsch, der das Bewußtsein verloren hatte, zu ihr nach Hause gebracht werden sollte, hatte Katerina Iwanowna gleich nach der Szene vor Gericht angeordnet, ohne sich um das mit Sicherheit zu erwartende abfällige Gerede der Gesellschaft zu kümmern. Eine der beiden Verwandten, die bei ihr wohnten, war gleich nach der Szene vor Gericht nach Moskau gefahren; die andere war dageblieben. Aber auch wenn sie beide weggefahren wären, hätte Katerina Iwanowna ihren Entschluß nicht geändert und nicht aufgehört, den Kranken zu pflegen und Tag und Nacht bei ihm zu sitzen. Warwinski und Herzenstube behandelten ihn; der Moskauer Arzt war zurückgefahren, nachdem er abgelehnt hatte, eine Prognose über den möglichen Ausgang der Krankheit zu stellen. Die beiden Ärzte versuchten zwar, Katerina Iwanowna und Aljoscha Mut zu machen, doch es war klar, daß sie ihnen noch keine bestimmte Hoffnung geben konnten. Aljoscha besuchte seinen kranken Bruder zweimal am Tag. Diesmal aber hatte er eine besondere, unangenehme Sache vorzubringen, und er spürte im voraus, wie peinlich es ihm sein würde, davon zu reden. Außerdem war er sehr in Eile, denn er hatte diesen Morgen noch eine andere unaufschiebbare Sache an anderer Stelle vor sich. Sie hatten schon ungefähr eine Viertelstunde miteinander gesprochen. Katerina Iwanowna war blaß und sehr ermüdet, befand sich gleichzeitig jedoch in einer ungewöhnlichen, krankhaften Erregung; sie ahnte, warum Aljoscha, von allem übrigen abgesehen, jetzt zu ihr gekommen war.
»Daß er sich dazu entschließen wird, darüber brauchen Sie sich keine Sorge zu machen«, sagte sie in festem, energischem Ton zu Aljoscha. »So oder so, er wird doch zu diesem Hilfsmittel greifen müssen! Er muß fliehen! Dieser Unglückliche, dieser Held der Ehre und des Gewissens, nicht Dmitri Fjodorowitsch, sondern der hinter dieser Tür, der sich für seinen Bruder aufgeopfert hat, hat mir diesen ganzen Fluchtplan schon längst mitgeteilt. Wissen Sie, er hat sogar schon die erforderlichen Verbindungen angeknüpft ... Ich habe Ihnen bereits einiges darüber gesagt ... Sehen Sie, es wird aller Wahrscheinlichkeit nach auf der dritten Etappe von hier vor sich gehen, wenn der betreffende Sträflingstrupp nach Sibirien geführt wird. Oh, bis dahin wird noch viel Zeit vergehen. Iwan Fjodorowitsch ist schon bei dem Kommandanten der dritten Etappe gewesen. Wir wissen nur noch nicht, welcher Offizier den Trupp führen wird, und es ist auch nicht möglich, das im voraus zu erfahren. Morgen werde ich Ihnen vielleicht den ganzen Plan mit allen Einzelheiten zeigen, den mir Iwan Fjodorowitsch einen Tag vor der Gerichtsverhandlung für alle Fälle hiergelassen hat. Es war damals, als Sie uns am Abend im Streit antrafen. Er stieg schon die Treppe hinab, und als ich Sie sah, veranlaßte ich ihn, wieder umzukehren, erinnern Sie sich? Wissen Sie, weswegen wir uns damals gestritten haben?«
»Nein, ich weiß es nicht,« erwiderte Aljoscha.
»Er hat es vor Ihnen natürlich geheimgehalten. Es ging um eben diesen Fluchtplan. Er hatte ihn mir schon drei Tage vorher in den Hauptzügen enthüllt – und gleich da
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