Fuchserde
1.
Als Franz Jandrasits bereits bis zum Hals im Moor versunken war, kroch der Frühnebel aus dem Wald. Feucht und behutsam wälzte sich der üppige Dunst über die taunasse Wiese, schluckte das Schilfgras am Übergang zum Moor und verschlang schließlich sehr sorgfältig die gesamte Lichtung. Und das Moor verschlang Franz Jandrasits.
Seine Kräfte hatten ihn vor Sonnenaufgang verlassen, waren mit jeder verzweifelten Ruderbewegung aus seinem aufgeweichten Körper entschwunden. Seine Schreie, anfangs hysterisch und kreischend, wurden von Stunde zu Stunde leiser, seine Stimme kippte immer öfter. Am Schluss krächzte er nur noch, jammerte leise vor sich hin und weinte. Er weinte nicht seinetwegen. Er dachte an seine beiden Kinder und an seine junge Frau, die am anderen Ende des Waldes auf ihn wartete, die verzweifelt sein musste und es nun vielleicht ein Leben lang bleiben würde, seinetwegen. Warum war er nur so töricht und unersättlich gewesen, wieso nur hatte er sich nicht zufrieden gegeben mit dem Flecken Land, den der Graf zur Urbarmachung für ihn und seinesgleichen vorgesehen hatte.
Die anderen Strafgefangenen hatten nichts vom Verschwinden Franz Jandrasits’ bemerkt. Und hätte seine Frau die müden Männer nicht an den Haaren gerissen, gekratzt und gebissen, um sie dazu zu bewegen, ihr bei der Suche zu helfen, wären die Hände des Franz Jandrasits wohl noch lange unbemerkt aus dem Moor geragt. Der starke Regen hatte sie rein gewaschen vom Moorschlamm, hatte auch den letzten Schmutz aus den tief zerfurchten Pranken gespült, und so sahen die gen Himmel gestreckten Handflächen von der Ferne aus wie zwei weiße Porzellanteller, die jemand an der feuchten Oberfläche des Moores abgestellt hatte.
Die blütenweißen Handflächen inmitten des sumpfigen Morasts waren es auch, die die Männer glauben ließen, Franz Jandrasits sei nicht qualvoll und stundenlang um sein Leben kämpfend im Moor versunken, sondern mit einem einzigen gewaltigen Ruck vom Moorgeist nach unten gezogen worden. Bestätigung fanden die Männer, als die Hände des Franz Jandrasits nicht etwa langsam dem übrigen Körper ins Moor folgten, sondern plötzlich und begleitet von einem dumpfen Gurgeln, sowie dem Aufsteigen einer an der Oberfläche zerberstenden Blase, vom Moor eingesaugt wurden. »Jetzt hat er ihn ganz geschluckt!«, war die Reaktion der Umstehenden, deren Erschrecken rasch dem beruhigenden Gefühl wich, dass die Tragödie einen durchaus konsequenten Abschluss gefunden hatte: Der Moorgeist hatte sein Opfer restlos verspeist.
»Holt ihn raus! Holt mir meinen Mann!«, schrie Jandrasits’ Frau die Männer an, die mit offenen Mündern dastanden. Doch der Graf ließ keine unnützen Gedanken und ebenso zeitraubende wie riskante Eskapaden mehr zu: »Zurück!«, befahl er kurz, zerrte an den Zügeln und trabte voran, in die Richtung des Siedlungsgebiets.
Franz Jandrasits’ Frau kniete noch stundenlang im Gras und starrte auf die Stelle, an der ein Teil von ihr im Morast versunken war. Rund um sie trockneten Sonnenstrahlen die regennassen Halme. Die Vögel begannen lautstark ihr Tagwerk und ihre beiden Kleinen, die nun nur noch die ihren waren, spielten vergnügt im Gras.
* * *
1799 vergab Graf Vinzenz von Straßoldo, Eigner der Herrschaft Schwarzenau im nördlichen Waldviertel, in einem besonders entlegenen und unwegsamen Flecken seiner Besitzungen stückweise Land an eine Hundertschaft von Menschen. Viele davon wurden im Volksmund als Gesindel und Zigeuner beschimpft. Es waren Männer und Frauen, die wegen Delikten wie Mundraub, Raufereien, Anpöbelungen der Obrigkeit, kleineren Diebstählen und anderen Übertretungen in Ungnade gefallen waren. Unter ihnen waren Sinti und Jenische, Angehörige des fahrenden Volkes. Diesen Menschen bot Graf Vinzenz von Straßoldo folgenden Tauschhandel an: Wenn sie innerhalb von drei Jahren die raue Gegend, vorwiegend Wald- und Moorland, urbar machten, also rodeten und trockenlegten, sowie darauf Häuser erbauten, würde er ihnen die Freiheit schenken.
Die fortan Kleinhäusler genannten Siedler nahmen das Angebot an und bearbeiteten das ihnen zugeteilte Land. Gut drei Jahre später, 1803, bestand der Ort tatsächlich und wurde der fünf Kilometer entfernt liegenden Pfarre Langegg zugeteilt. Und weil der Graf nicht nur hoch- und wohlgeboren war, sondern auch Obrist-Hofmeister der Erzherzogin von Österreich, der durchlauchtigsten Frau Amalie, bekam der arme und teils vom Pöbel
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