Die Brueder Karamasow
edelsten Herzensregungen dürfen sie nicht mißtrauen ... Nein, dazu haben Sie kein Recht... Jedoch ...
Schweig, mein Herz,
dulde, füge dich und schweig!
Nun, wie ist es? Soll ich fortfahren?« fragte er mit finsterer Miene.
»Aber gewiß, haben Sie die Güte!« antwortete Nikolai Parfjonowitsch.
5.
Das dritte Leid
Obwohl Mitja in ziemlich düsterer Stimmung weitersprach, gab er sich offenbar noch größere Mühe als vorher, auch nicht die geringste Einzelheit in seinem Bericht auszulassen. Er erzählte, wie er über den Zaun in den Garten seines Vaters gestiegen und zum Fenster gegangen war und alles, was er am Fenster gesehen hatte. Klar und deutlich, gleichsam jedes Wort einzeln formend, berichtete er von den Gefühlen, die ihn in jenen Augenblicken im Garten erfüllt hatten, als er so sehnlichst zu erfahren wünschte, ob Gruschenka bei seinem Vater ist oder nicht. Aber seltsam, der Staatsanwalt und der Untersuchungsrichter hörten diesmal anscheinend mit großer Zurückhaltung zu, machten trockene Gesichter und stellten weit weniger Fragen. Mitja vermochte aus ihren Mienen nichts zu entnehmen. ›Sie haben sich geärgert und fühlen sich gekränkt‹, dachte er. ›Na, sollen sie, zum Teufel!‹ Als er erzählte, wie er sich endlich entschlossen hatte, dem Vater das Signal zu geben, daß Gruschenka gekommen sei und er das Fenster aufmachen möchte, da schenkten der Staatsanwalt und der Untersuchungsrichter dem Wort »Signal« gar keine Beachtung, als hätten sie überhaupt nicht verstanden, welche Bedeutung dieses Wort hier hatte. Als er endlich bei dem Punkt angekommen war, wo er beim Anblick seines aus dem Fenster gelehnten Vaters wild vor Haß den Stößel aus der Tasche geholt hatte, da brach er auf einmal wie absichtlich ab. Er saß da und starrte die Wand an und wußte, daß die anderen ihn jetzt mit den Augen geradezu verschlangen.
»Nun«, sagte der Untersuchungsrichter, »Sie nahmen also das Instrument heraus und ... Und was geschah dann weiter?«
»Was dann weiter geschah? Dann schlug ich ihn tot ... Ich schlug ihn auf den Scheitel und zerschmetterte ihm den Schädel ... So ist es doch Ihrer Meinung nach zugegangen!« rief er mit funkelnden Augen.
Seine ganze Wut, die sich schon beinahe gelegt hatte, loderte auf einmal wieder mit größter Heftigkeit auf.
»Unserer Meinung nach«, erwiderte Nikolai Parfjonowitsch. »Nun, aber wie ist es Ihrer Meinung nach zugegangen?«
Mitja senkte den Blick und schwieg lange.
»Meiner Meinung nach, meine Herren, ging es so zu«, sagte er leise. »Hat jemand um mich geweint, oder hat meine Mutter für mich zu Gott gebetet, oder hat ein lichter Geist mich in jenem Augenblick umarmt und geküßt – ich weiß es nicht. Der Teufel wurde jedenfalls besiegt. Ich stürzte vom Fenster weg und lief zum Zaun ... Mein Vater erschrak und erblickte mich da zum erstenmal. Er schrie auf und sprang vom Fenster zurück, daran erinnere ich mich sehr genau. Ich lief durch den Garten zum Zaun ... Und da holte mich Grigori ein, als ich schon auf dem Zaun saß ...«
Hier hob er endlich die Augen und sah seine Zuhörer an. Diese musterten ihn ganz ruhig und aufmerksam, wie es schien. Mitjas Herz krampfte sich vor Entrüstung zusammen.
»Aber Sie machen sich ja über mich lustig, meine Herren« unterbrach er sich plötzlich.
»Woraus schließen Sie das?« fragte Nikolai Parfjonowitsch.
»Sie glauben mir kein Wort, daraus schließe ich es! Ich begreife ja, daß ich nun zur Hauptsache gekommen bin: Der alte Mann liegt da mit zertrümmertem Schädel, und ich, der ich so dramatisch geschildert habe, wie ich ihn totschlagen wollte und wie ich schon den Stößel hervorholte, ich laufe auf einmal vom Fenster weg ... Das ist geradezu ein Gedicht! In Versen! Das kann man dem braven jungen Mann aufs Wort glauben! Haha! Wie spottlustig Sie sind, meine Herren!«
Und er drehte sich mit dem ganzen Oberkörper auf dem Stuhl herum, daß der Stuhl krachte.
»Haben Sie nicht bemerkt«, begann plötzlich der Staatsanwalt, als ob er Mitjas Aufregung gar nicht bemerkt hätte. »Haben Sie, als Sie vom Fenster wegliefen, nicht bemerkt, ob die Tür zum Garten, die sich am anderen, hinteren Ende des Hauses befindet, offenstand oder nicht?«
»Sie stand nicht offen.«
»Nein?«
»Im Gegenteil, sie war geschlossen. Und wer hätte sie auch aufmachen können? Ha, die Tür, warten Sie mal!« rief er, als fiele ihm plötzlich etwas ein. »Haben Sie etwa die Tür offen
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