Die Brueder Karamasow
weiter?«
»Nikolai lwanowitsch Krassotkin oder wie es offiziell auf dem Gymnasium lautet: Schüler Krassotkin«, erwiderte Kolja lachend, und dann fügte er plötzlich hinzu: »Ich hasse den Namen Nikolai.«
»Warum denn?«
»Er ist so trivial, so allgemein üblich,«
»Sie sind dreizehn Jahre alt?« fragte Aljoscha.
»Das heißt vierzehn, in zwei Wochen werde ich vierzehn, also sehr bald. Ich will ihnen gleich von vornherein eine Schwäche gestehen, Karamasow – das soll der Anfang unserer Bekanntschaft sein, damit Sie gleich mit einemmal mein ganzes Wesen kennenlernen. Ich kann es nicht leiden, wenn mich jemand nach meinem Alter fragt; und der Ausdruck ›nicht leiden können‹ ist dabei eigentlich noch viel zu schwach ... Und ferner ... Da wird zum Beispiel über mich die Verleumdung verbreitet, ich hätte in der vorigen Woche mit den Vorschülern ›Räuber‹ gespielt. Daß ich gespielt habe, ist eine Tatsache; doch daß ich um meinetwillen gespielt hätte, um mir selbst dadurch ein Vergnügen zu bereiten, ist eine Verleumdung. Ich habe Grund zu glauben, daß dies auch ihnen zu Ohren gekommen ist. Ich habe aber nicht um meinetwillen gespielt, sondern um der Kinder willen, weil sie ohne meine Hilfe keine Einfälle hatten. Bei uns werden immer solche albernen Gerüchte ausgesprengt. Unsere Stadt ist ein richtiges Klatschnest, glauben Sie mir.«
»Und selbst wenn Sie zu ihrem eigenen Vergnügen gespielt hätten – was wäre denn dabei?«
»Na, zu meinem eigenen Vergnügen ... Sie werden doch nicht Pferdchen spielen wollen?«
»Betrachten Sie doch die Sache einmal so«, erwiderte Aljoscha lächelnd. »Die Erwachsenen gehen ins Theater. Im Theater werden ebenfalls die Abenteuer aller möglichen Helden dargestellt, und manchmal kommen dabei auch Räuber und Krieg vor, ist das in seiner Art nicht dasselbe? Und wenn die jungen Leute in den Unterrichtspausen Krieg oder Räuber spielen, dann ist das auch in der Entwicklung begriffene Kunst, ein erwachendes Kunstbedürfnis. Und diese Spiele sind manchmal sogar besser arrangiert als die Vorstellung im Theater. Der Unterschied besteht nur darin, daß man ins Theater geht, um Schauspieler zu sehen, während hier die jungen Leute selbst die Schauspieler sind. Aber das macht die Sache erst recht natürlich.«
»Denken Sie so darüber? Ist das ihre Überzeugung?« sagte Kolja und sah ihn unverwandt an. »Wissen Sie, Sie haben da einen sehr interessanten Gedanken ausgesprochen. Wenn ich jetzt nach Hause komme, werde ich ihn durchdenken. Ich muß gestehen, ich hatte auch erwartet, daß ich von ihnen manches lernen kann ... Ich bin gekommen, um von ihnen zu lernen, Karamasow«, schloß Kolja aufrichtig und offenherzig.
»Und ich von ihnen«, erwiderte Aljoscha lächelnd und drückte ihm die Hand.
Kolja war mit Aljoscha höchst zufrieden. Es gefiel ihm sehr, daß dieser mit ihm auf gleichem Fuß verkehrte und mit ihm wie mit einem Erwachsenen sprach.
»Ich werde ihnen gleich ein Kunststück zeigen, Karamasow! Auch eine Theatervorstellung«, sagte er nervös lachend. »Zu diesem Zweck bin ich hergekommen.«
»Wir wollen zuerst zu den Wirtsleuten gehen, dort haben ihre Kameraden ihre Mäntel gelassen, weil es in der anderen Stube eng und heiß ist.«
»Oh, ich bin nur für einen Augenblick gekommen, ich werde den Mantel anbehalten und so dasitzen. Pereswon wird hier auf dem Flur bleiben und sterben. Ici, Pereswon, leg dich und stirb! – Sehen Sie, nun ist er gestorben ... Ich will erst einmal hineingehen und mir die Situation ansehen, und dann, wenn der richtige Moment da ist, werde ich pfeifen, und Sie werden sehen, Pereswon wird sofort wie toll hereingestürmt kommen. Nur darf Smurow nicht vergessen, rechtzeitig die Tür aufzumachen. Nun, ich werde schon alles arrangieren, und Sie werden ein famoses Kunststück sehen ...«
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5.
An Iljuschas Bett
In der uns bereits bekannten Stube, in der die Familie des Stabskapitäns a. D. Snegirjow wohnte, war es in diesem Augenblick infolge des zahlreichen Besuchs schwül und eng. Eine ganze Anzahl Jungen saßen diesmal bei Iljuscha, und obgleich sie alle sowie Smurow bestritten hätten, daß Aljoscha sie hergebracht und mit Iljuscha versöhnt habe, war es doch so. Seine ganze Kunst hatte in diesem Fall darin bestanden, daß er sie nacheinander zu Iljuscha geführt hatte, ohne »kalbrige Zärtlichkeiten« und anscheinend ganz unabsichtlich und zufällig. Dem Kranken hatte dies eine große Erleichterung gebracht. Er
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