Die Brueder Karamasow
war gerührt, als er die beinahe zärtliche Teilnahme und Freundschaft aller dieser seiner früheren »Feinde« sah. Nur Krassotkin fehlte noch, und das lag ihm wie eine schwere Last auf dem Herzen. Wenn in Iljuschetschkas Erinnerungen etwas besonders Bitteres war, so dieser Vorfall mit Krassotkin, seinem früheren einzigen Freund und Beschützer, auf den er sich mit dem Messer gestürzt hatte. So dachte auch der kluge Knabe Smurow; er war als erster zu Iljuscha gekommen, um sich mit ihm zu versöhnen. Krassotkin selbst hatte allerdings, als Smurow ihm andeutete, Aljoscha wolle »in einer gewissen Angelegenheit« zu ihm kommen, sogleich kurz abgebrochen und den Plan zunichte gemacht, indem er Karamasow bestellen ließ, er, Krassotkin, wisse selber, was er zu tun habe; er bitte niemanden um Rat und werde schon selber den richtigen Zeitpunkt wählen, wenn er zu dem Kranken gehen wolle: er habe »seinen eigenen Plan«. Das war etwa zwei Wochen vor diesem Sonntag. Hierin war auch der Grund zu suchen, weshalb Aljoscha nicht selbst zu ihm gegangen war, wie er anfänglich beabsichtigt hatte. Statt dessen hatte er den kleinen Smurow noch einmal und dann noch einmal zu Krassotkin geschickt. Aber diese beiden Male hatte Krassotkin schon mit einer sehr schroffen Absage geantwortet und Aljoscha bestellen lassen, sollte er ihn persönlich abholen kommen, würde das bewirken, daß er dann überhaupt nie zu Iljuscha gehen würde; man möge ihn also nicht weiter belästigen. Sogar kurz vorher hatte Smurow noch nicht gewußt, daß Kolja sich entschlossen hatte, an diesem Vormittag zu Iljuscha zu gehen. Erst am Abend zuvor hatte Kolja, als er sich von Smurow verabschiedete, auf einmal in barschem Ton gesagt, er solle am nächsten Vormittag zu Hause auf ihn warten, da er mit ihm zusammen zu Snegirjows gehen wolle; er solle sich aber nicht unterstehen, jemand von seinem bevorstehenden Besuch zu benachrichtigen; denn er wolle überraschend kommen. Smurow hatte gehorcht. Die Hoffnung, daß Kolja den verschollenen Shutschka mitbringen würde, hegte Smurow auf Grund einiger flüchtig hingeworfener Bemerkungen Koljas: »Sie sind sämtlich Esel, wenn sie einen Hund nicht auffinden können, falls er überhaupt noch am Leben ist!« Als jedoch Smurow bei einer passenden Gelegenheit seine Vermutung wegen des Hundes Krassotkin gegenüber schüchtern angedeutet hätte, war dieser plötzlich furchtbar ärgerlich geworden: »Wie werde ich denn so ein Esel sein, fremde Hunde in der ganzen Stadt zu suchen, wenn ich meinen Pereswon habe? Kann man denn überhaupt glauben, daß ein Hund, der eine Stecknadel verschluckt hat, am Leben geblieben ist? Eine rührselige Idee, weiter nichts!«
Iljuscha hatte inzwischen sein Bett in der Ecke bei den Heiligenbildern schon zwei Wochen fast nicht mehr verlassen. Zur Schule war er seit jenem Tag nicht mehr gegangen, da er Aljoscha in den Finger gebissen hatte. Von da an hatte er gekränkelt, wenn er auch noch etwa einen Monat lang ab und zu aufstehen und ein wenig in der Stube und auf dem Flur umhergehen konnte. Zuletzt war er ganz kraftlos geworden, so daß er sich ohne Hilfe des Vaters nicht mehr bewegen konnte. Der Vater zitterte um ihn, hatte sogar aufgehört zu trinken und war beinahe wahnsinnig vor Angst, daß sein Sohn sterben könnte. Wenn er ihn manchmal am Arm in der Stube umhergeführt und dann wieder aufs Bett gelegt hatte, lief er plötzlich auf den Flur hinaus, stellte sich in eine dunkle Ecke, lehnte sich mit der Stirn gegen die Wand, weinte und schluchzte in eigentümlich hohen Tönen, wobei er sich jedoch Mühe gab, seine Stimme zu unterdrücken, damit Iljuschetschka sein Schluchzen nicht hörte.
Wenn er dann in die Stube zurückkehrte, versuchte er gewöhnlich, seinen lieben Jungen irgendwie zu zerstreuen und zu trösten, er erzählte ihm Märchen und komische Anekdoten oder stellte allerlei lächerliche Menschen dar, mit denen er einmal zusammengetroffen war, ja er ahmte sogar Tiere nach, wie sie heulten oder schrien. Aber Iljuscha hatte es nicht gern, wenn sein Vater Grimassen schnitt und sich zum Hanswurst machte. Der Junge suchte zwar zu verbergen, daß ihm das unangenehm war; aber er war sich schmerzlich dessen bewußt, daß sein Vater in der Gesellschaft degradiert war, und mußte immer unwillkürlich an den »Bastwisch« und jenen schrecklichen Tag denken. Ninotschka, Iljuschetschkas gelähmte, sanfte Schwester, mochte es ebenfalls nicht, wenn der Vater Possen trieb; Warwara NikoIajewna war
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