Die Brueder Karamasow
herrischen Gebärde Aljoschas Hand.
»Gehen Sie ihm nach! Verlassen Sie ihn keinen Augenblick!« flüsterte sie ihm zu! »Er ist wahnsinnig. Wissen Sie nicht, daß er wahnsinnig ist? Er hat Fieber, ein Nervenfieber! Der Arzt hat es mir gesagt. Gehen Sie, laufen Sie ihm nach ...«
Aljoscha sprang auf und stürzte Iwan Fjodorowitsch hinterher. Dieser war noch nicht fünfzig Schritte entfernt.
»Was willst du?« fragte er, als er merkte, daß Aljoscha ihm folgte! »Sie hat dir befohlen, mir nachzulaufen, weil ich verrückt sein soll. Ich weiß es, ohne daß mir das jemand sagt«, fügte er gereizt hinzu.
»Sie irrt sich selbstverständlich. Aber daß du krank bist, darin hat sie recht«, sagte Aljoscha! »Ich habe eben dein Gesicht gesehen, du siehst sehr krank aus, Iwan!«
Iwan blieb nicht stehen. Aljoscha lief neben ihm.
»Weißt du, Alexej Fjodorowitsch, wie man den Verstand verliert?« fragte Iwan ganz plötzlich mit leiser, gar nicht mehr gereizter Stimme, aus der nur harmlose Neugier herauszuhören war.
»Nein, das weiß ich nicht. Ich denke mir, daß es viele verschiedene Arten von Verrücktheit gibt.«
»Und kann man an sich selbst beobachten, wie man den Verstand verliert?«
»Ich glaube, es ist nicht möglich, das an sich selbst deutlich zu verfolgen«, antwortete Aljoscha.
Iwan schwieg lange.
»Wenn du mit mir über etwas reden willst, dann wechsle bitte das Thema«, sagte er plötzlich.
»Ehe ich es vergesse; da ist ein Brief an dich«, sagte Aljoscha schüchtern, zog Lisas Brief aus der Tasche und gab ihn Iwan. Sie waren gerade an einer Laterne. Iwan erkannte die Handschrift sofort.
»Ah, das ist von diesem Teufelchen«, sagte er mit boshaftem Lachen, dann zerriß er, ohne das Kuvert zu öffnen, den ganzen Brief in mehrere Stücke und warf sie in den Wind. Die Fetzen flogen auseinander.
»Noch keine sechzehn Jahre alt, glaube ich, und bietet sich schon an!« sagte er verächtlich und lief weiter.
»Was heißt das, sie bietet sich an?« fragte Aljoscha.
»Das ist doch bekannt, wie sich liederliche Weiber anbieten!«
»Was redest du da, Iwan, was redest du da?« sagte Aljoscha betrübt, aber entschieden! »Sie ist ein Kind, du beleidigst ein Kind! Sie ist krank, sie ist selbst sehr krank, auch sie wird vielleicht den Verstand verlieren ... Ich mußte dir doch ihren Brief übergeben ... Ich hätte vielmehr gern etwas von dir erfahren, um sie zu retten.«
»Du wirst nichts von mir erfahren. Wenn sie ein Kind ist, bin ich nicht ihre Wärterin. Schweig, Alexej! Sprich nicht mehr davon! Ich denke überhaupt nicht mehr an diese Geschichte.«
Sie schwiegen wieder eine längere Zeit.
»Jetzt wird sie die ganze Nacht zur Muttergottes beten, damit diese ihr kundtut, wie sie morgen vor Gericht auftreten soll«, sagte er wieder in scharfem, boshaftem Ton.
»Du sprichst von Katerina Iwanowna?«
»Ja. Ob sie Mitja retten oder vernichten soll! Sie wird die Muttergottes bitten, ihrer Seele darüber eine Erleuchtung zukommen zu lassen. Sie selbst weiß es noch nicht, sie ist sich darüber noch nicht klargeworden. Auch sie möchte mich zur Kinderfrau haben, damit ich sie einlulle.«
»Katerina Iwanowna liebt dich, Bruder«, sagte Aljoscha bekümmert.
»Kann sein. Aber ich mag sie nicht.«
»Sie leidet. Warum sagst du ihr manchmal Worte, derentwegen sie sich Hoffnungen macht?« fuhr Aljoscha mit schüchternem Vorwurf fort! »Ich weiß, daß du Hoffnungen bei ihr erweckt hast ... Verzeih, daß ich so rede«, fügte er hinzu.
»Ich kann bei ihr nicht so verfahren, wie ich eigentlich müßte, das heißt, mit ihr brechen und es ihr geradeheraus sagen!« erwiderte Iwan gereizt! »Ich muß warten, bis das Gericht das Urteil über den Mörder gefällt hat. Wenn ich jetzt mit ihr breche, wird sie diesen Unmenschen morgen vor Gericht vernichten, um sich an mir zu rächen, denn sie haßt ihn und ist sich ihres Hasses bewußt. Hier ist alles Unwahrhaftigkeit und Lüge! Jetzt aber, solange ich noch nicht mit ihr gebrochen habe, hofft sie immer noch und wird diesen Unmenschen nicht zugrunde richten, weil sie weiß, wie sehr ich ihm aus der Patsche helfen möchte. Wann wird nur endlich dieses verfluchte Urteil gefällt!«
Die Wörter »Mörder« und »Unmensch« ließen Aljoschas Herz schmerzlich zusammenzucken.
»Wodurch könnte sie denn den Bruder zugrunde richten?« fragte er und dachte über Iwans Worte nach! »Was kann sie denn so Belastendes aussagen, daß er dadurch ohne weiteres vernichtet werden
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