Die Brueder Karamasow
Überzeugung von dessen Schuld nicht verringert, sondern eher noch verstärkt. Er hatte seinen Bruder damals in Unruhe und krankhafter Erregung vorgefunden. Mitja redete viel, aber zerstreut, unzusammenhängend und in scharfem Ton; er beschuldigte Smerdjakow und war überhaupt sehr konfus. Am meisten sprach er von den dreitausend Rubeln, die ihm der Verstorbene angeblich »gestohlen« hatte! »Es war mein Geld, es gehörte mir!« behauptete Mitja! »Selbst wenn ich es gestohlen hätte, wäre ich im Recht gewesen,« Alle gegen ihn sprechenden Beweise bestritt er so gut wie nicht, und wenn er Tatsachen zu seinen Gunsten auslegte, so auch wieder in konfuser, törichter Weise, als wollte er sich vor Iwan oder sonst jemandem gar nicht rechtfertigen; er wurde vielmehr zornig, reagierte auf die Anschuldigungen nur geringschätzig und stolz und schimpfte. Über Grigoris Aussage von der offenen Tür lachte er nur verächtlich und sagte, »der Teufel muß sie aufgemacht haben!«. Irgendeine vernünftige Erklärung für diese Tatsache konnte er jedoch nicht vorbringen. Er brachte es sogar fertig, Iwan Fjodorowitsch bei diesem ersten Besuch zu beleidigen, indem er in rüdem Ton bemerkte, er lasse sich nicht von Personen verdächtigen und verhören, die selber behaupten, daß »alles erlaubt sei«. Überhaupt hatte er sich Iwan Fjodorowitsch gegenüber äußerst unfreundlich benommen. Gleich nach diesem Besuch bei Mitja also hatte sich Iwan Fjodorowitsch damals zu Smerdjakow begeben.
Schon bei der Heimfahrt aus Moskau hatte er immerzu an Smerdjakow und das letzte Gespräch denken müssen, das er mit ihm am Abend vor seiner Abreise gehabt hatte. Vieles hatte ihn stutzig gemacht, vieles war ihm verdächtig erschienen. Doch als er vor dem Untersuchungsrichter seine Aussagen machte, hatte Iwan Fjodorowitsch von diesem Gespräch vorläufig geschwiegen; er wollte erst ein Wiedersehen mit Smerdjakow abwarten. Dieser befand sich damals im städtischen Krankenhaus. Doktor Herzenstube und der Arzt Warwinski, den Iwan Fjodorowitsch im Krankenhaus traf, antworteten auf Iwan Fjodorowitschs diesbezügliche Fragen mit aller Bestimmtheit, Smerdjakows epileptischer Anfall sei zweifellos echt; sie wunderten sich sogar über seine Frage, ob er am Tag der Katastrophe nicht simuliert habe. Sie gaben ihm zu verstehen, daß es ein ungewöhnlicher Anfall gewesen sei, der sehr lange gedauert und sich mehrere Tage wiederholt habe, so daß das Leben des Patienten in großer Gefahr gewesen sei und man erst jetzt, nach Ergreifung der erforderlichen Maßnahmen, positiv sagen könne, der Kranke werde am Leben bleiben, obgleich sein Geist möglicherweise, fügte Doktor Herzenstube hinzu, zum Teil gestört bleiben werde, »wenn nicht für das ganze Leben, so doch längere Zeit«. Auf Iwan Fjodorowitschs ungeduldige Frage, ob er also jetzt verrückt sei, wurde ihm geantwortet, im vollen Sinn des Wortes noch nicht, doch seien gewisse abnorme Erscheinungen wahrnehmbar. Iwan Fjodorowitsch nahm sich vor, selbst festzustellen, was das für abnorme Erscheinungen sein mochten. Im Krankenhaus wurde ihm ein Besuch bei dem Kranken sogleich gestattet. Smerdjakow lag im Bett. In dem Raum stand noch ein Bett, das ein gelähmter einheimischer Kleinbürger innehatte; er war von Wassersucht ganz geschwollen, und sein Ableben war offenbar für den nächsten oder übernächsten Tag zu erwarten; stören konnte er bei dem Gespräch nicht. Smerdjakow lächelte mißtrauisch, als er Iwan Fjodorowitsch erblickte, und schien im ersten Augenblick sogar ängstlich zu sein. Wenigstens hatte Iwan Fjodorowitsch kurz diesen Eindruck. Aber das dauerte nur einen Moment. Die ganze übrige Zeit versetzte ihn Smerdjakow durch seine Ruhe geradezu in Erstaunen. Gleich beim ersten Blick gewann Iwan Fjodorowitsch die unzweifelhafte Überzeugung, daß er wirklich schwerkrank war. Er war sehr schwach, sah mager und gelb aus, redete langsam und schien die Zunge nur mit Mühe zu bewegen. Während der zwanzig Minuten, die der Besuch dauerte, klagte er ständig über Kopfschmerzen und über Reißen in allen Gliedern. Sein trockenes, kastratenhaftes Gesicht schien ganz klein geworden zu sein, die Schläfenhaare waren wirr und unordentlich, statt der früheren Tolle ragte nur ein dünner Haarbüschel in die Höhe. Aber das zusammengekniffene linke Auge, das so aussah, als wolle es jemandem zuzwinkern, verriet noch den ehemaligen Smerdjakow! »Auch ein kurzes Gespräch mit einem klugen Menschen ist von
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