Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Brueder Karamasow

Die Brueder Karamasow

Titel: Die Brueder Karamasow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodr Michailowitsch Dostojewski
Vom Netzwerk:
hingefallen. Stehenbleibend erkannte er zu seinen Füßen den Bauern, den er vorhin umgestoßen hatte und der immer noch ohne Besinnung regungslos auf demselben Fleck lag. Der Schneesturm hatte ihm schon fast das ganze Gesicht zugeschüttet. Iwan faßte ihn und schleppte ihn ein Ende mit sich. Da er auf der rechten Seite in einem Häuschen Licht sah, ging er hin und klopfte an den Fensterladen; dann bat er den Kleinbürger, dem das Häuschen gehörte, er möchte ihm behilflich sein, den Bauern zur Polizeiwache zu schleppen, wobei er ihm sogleich versprach, ihm dafür drei Rubel zu geben. Der Kleinbürger machte sich fertig und kam heraus. Ich werde nicht eingehend erzählen, wie es Iwan Fjodorowitsch gelang, sein Ziel zu erreichen und den Bauern auf der Polizeiwache unterzubringen, mit der Abmachung, daß er sogleich ärztlich untersucht werden sollte; auch hier spendete er wieder großzügig Geld »für die entstehenden Unkosten«. Ich will nur sagen, daß die Sache beinahe eine ganze Stunde in Anspruch nahm. Doch Iwan Fjodorowitsch war sehr zufrieden. Seine Gedanken waren in Bewegung gekommen und arbeiteten. ›Wenn mein Entschluß für morgen nicht so fest wäre‹, dachte er plötzlich und hatte ein angenehmes Gefühl dabei, ›hätte ich nicht eine ganze Stunde darauf verwandt, den Bauern unterzubringen, sondern wäre an ihm vorbeigegangen und hätte mich nicht darum gekümmert, daß er erfror ... Oh, ich bin sehr wohl imstande, mich selbst zu beobachten!‹ dachte er in demselben Moment mit noch größerer Freude. ›Und die glaubten schon, ich verliere den Verstand!‹ Als er an seinem Haus angelangt war, blieb er auf einmal stehen und fragte sich: ›Muß ich nicht jetzt gleich zum Staatsanwalt gehen und Anzeige erstatten?‹ Er beantwortete die Frage, indem er sich wieder zum Haus umdrehte und vor sich hin flüsterte: »Morgen werde ich alles zusammen erledigen,« Doch seltsam: fast die ganze Freude, die ganze Selbstzufriedenheit waren augenblicklich verschwunden. Als er dann in sein Zimmer trat, berührte plötzlich etwas Eiskaltes sein Herz, als wär's eine Erinnerung – oder besser, eine Mahnung an etwas Qualvolles, Widerwärtiges, das sich jetzt, gleich in diesem Zimmer befinden würde, ja und das auch früher hier war. Er ließ sich müde auf sein Sofa sinken. Die alte Frau brachte ihm den Samowar; er kochte sich Tee, rührte ihn aber nicht an. Die alte Frau schickte er bis morgen weg. Er saß auf dem Sofa und hatte ein Schwindelgefühl im Kopf. Er fühlte sich krank und matt. Er war nahe daran einzuschlafen; aber in seiner Unruhe stand er auf und ging im Zimmer auf und ab, um die Müdigkeit zu verscheuchen. Zeitweilig kam es ihm vor, als phantasiere er im Fieber. Was ihn jedoch am meisten beschäftigte, war nicht seine Krankheit. Nachdem er sich wieder gesetzt hatte, begann er sich von Zeit zu Zeit umzublicken, als hielte er heimlich nach etwas Ausschau. So machte er es mehrere Male. Schließlich konzentrierte sich sein Blick auf einen Punkt. Iwan lächelte, doch Zornesröte überflog sein Gesicht. Er saß lange auf seinem Platz, stützte den Kopf fest in die Hände, schielte aber doch nach dem früheren Punkt, nach dem Sofa an der gegenüberliegenden Wand. Offensichtlich befand sich dort etwas, was ihn in gereizte Stimmung versetzte: irgendein Gegenstand, der ihn beunruhigte und quälte,
     

9.
Der Teufel – Iwan Fjodorowitschs Alptraum
     
    Ich bin kein Arzt.; trotzdem fühle ich, daß der Augenblick gekommen ist, wo ich dem Leser etwas über die Krankheit Iwan Fjodorowitschs sagen muß. Ich will vorgreifend nur das eine sagen: Er befand sich jetzt, an diesem Abend, im Vorstadium eines Nervenfiebers, das seinen schon lange zerrütteten, aber der Krankheit hartnäckig widerstehenden Organismus schließlich endgültig überwältigte. Obwohl ich von Medizin nichts verstehe, wage ich doch die Vermutung auszusprechen, daß er es vielleicht tatsächlich durch eine gewaltige Anstrengung seines Willens fertiggebracht hatte, die Krankheit eine Zeitlang aufzuhalten, natürlich in der Hoffnung, ihrer ganz Herr zu werden. Er hatte gewußt, daß er krank war, aber er hatte sich heftig dagegen gesträubt, in dieser Zeit krank zu sein, in den bevorstehenden verhängnisvollen Augenblicken seines Lebens, in denen er persönlich erscheinen, seine Erklärungen kühn und entschieden abgeben und »sich vor sich selbst rechtfertigen« mußte. Er war übrigens einmal zu dem aus Moskau eingetroffenen Arzt gegangen, den

Weitere Kostenlose Bücher