Die Brueder Karamasow
lag die Sache bei Dmitri Fjodorowitsch. Er wußte von dem Kuvert nur vom Hörensagen, gesehen hatte er es nicht. Wenn er es also in die Hände bekam, es zum Beispiel unter der Matratze hervorzog, so war natürlich, daß er so schnell wie möglich das Kuvert gleich an Ort und Stelle erbrach, um festzustellen, ob das Geld auch wirklich drin ist. Und daß er das Kuvert dann wegwarf, weil er sich nicht die Zeit nahm, zu überlegen, daß er dadurch ein Indiz gegen sich zurückließ. Er ist eben kein Gewohnheitsdieb und hat vorher noch nie etwas direkt gestohlen, weil er von adliger Herkunft ist. Wenn er sich jetzt zum Stehlen entschloß, so hielt er das eigentlich gar nicht für Diebstahl, sondern glaubte nur, sein Eigentum wieder an sich zu nehmen, weshalb er ja auch die ganze Stadt vorher davon benachrichtigt und sich sogar lauthals gerühmt hatte, daß er hingehen und sich von Fjodor Pawlowitsch sein Eigentum zurückholen werde. Diesen Gedanken habe ich bei meiner Vernehmung dem Staatsanwalt gegenüber nicht gerade deutlich ausgesprochen, sondern nur leise angedeutet, so als ob ich es selber nicht verstünde und er das selber herausgefunden hätte. Dem Herrn Staatsanwalt lief bei diesem meinem Hinweis vor Vergnügen richtig das Wasser im Munde zusammen ...«
»Hast du das wirklich alles gleich an Ort und Stelle überlegt, wirklich?« rief Iwan Fjodorowitsch, der vor Erstaunen ganz außer sich war und Smerdjakow wieder entsetzt anstarrte.
»Ich bitte Sie, ist es menschenmöglich, das alles in solcher Eile zu überlegen? Das hatte ich mit alles vorher überlegt.«
»Nun ... dann hat dir der Teufel selbst geholfen!« rief Iwan Fjodorowitsch wieder! »Nein, du bist nicht dumm! Du bist viel klüger, als ich dachte ...«
Er stand auf, wohl in der Absicht, ein paar Schritte im Zimmer zu tun, denn er war in schrecklicher Erregung. Aber da der Tisch den Weg versperrte und man sich zwischen Tisch und Wand nur eben hindurchdrängen konnte, drehte er sich nur auf dem Fleck um und setzte sich wieder hin. Vielleicht machte ihn dieser Umstand plötzlich so gereizt, daß er wieder mit der früheren Wut losschrie: »Hör zu, du unglücklicher, verächtlicher Mensch! Begreifst du denn wirklich nicht, daß ich dich bis jetzt nur deshalb noch nicht totgeschlagen habe, weil ich dich für die morgige Befragung vor Gericht schone? Gott sieht mein Herz ..,« Iwan hob die Hand! »Vielleicht bin auch ich schuldig gewesen, vielleicht habe auch ich tatsächlich den geheimen Wunsch gehabt, daß mein Vater sterben möchte, aber ich schwöre dir, ich war nicht so schuldig, wie du denkst! Und vielleicht habe ich dich überhaupt nicht zu der Tat angetrieben. Nein, nein, ich habe dich nicht dazu angetrieben! Aber ganz gleich, ich werde gegen mich selber Anzeige erstatten, gleich morgen vor Gericht, dazu bin ich entschlossen! Ich werde alles sagen, alles. Doch ich werde mit dir zusammen erscheinen! Und was du auch vor Gericht gegen mich aussagen magst, ich werde es gelten lassen und dich nicht fürchten! Ich werde alles sogar noch bestätigen! Aber auch du sollst vor Gericht ein Geständnis ablegen! Du mußt es, wir werden zusammen hingehen. So soll es sein!« Iwan sagte das feierlich und energisch, und schon an seinem Blick war zu sehen, daß es ihm Ernst war.
»Sie sind krank, das sehe ich. Krank. Ihre Augen sehen ganz gelb aus«, sagte Smerdjakow ohne jeden Spott, es klang sogar mitleidig.
»Wir werden zusammen hingehen!« wiederholte Iwan! »Wenn du nicht mitkommst – egal, dann werde ich allein alles gestehen.«
Smerdjakow schwieg, als überlegte er.
»Nichts von alledem wird geschehen, und Sie werden auch gar nicht erst hingehen«, sagte er endlich in einem entschiedenen Ton, als sei kein Widerspruch möglich.
»Du verstehst mich nicht!« rief Iwan vorwurfsvoll.
»Sie würden sich viel zu sehr schämen, wenn Sie alles zu Ihren Ungunsten bekennen wollten. Und noch mehr fällt ins Gewicht, daß es nutzlos wäre, völlig nutzlos, denn ich würde geradeheraus erklären, daß ich Ihnen nie etwas Ähnliches gesagt habe, sondern daß Sie entweder krank sind, Sie sehen ja ganz danach aus, oder Ihren Bruder so bemitleiden, daß Sie sich selbst aufopfern und sich diese Anschuldigung gegen mich ausgedacht haben, so wie Sie mich Ihr ganzes Leben lang als eine Mücke angesehen haben und nicht als einen Menschen. Na, und wer würde Ihnen Glauben schenken? Und was haben Sie für Beweise, und wenn es ein einziger wäre?«
»Hör mal, dieses Geld hast
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