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Die Brüder Karamasow

Die Brüder Karamasow

Titel: Die Brüder Karamasow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
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seltsam und wunderbar, sondern daß ein solcher Gedanke von der Unentbehrlichkeit Gottes so einem wilden, bösen Tier, wie es der Mensch ist, überhaupt in den: Kopf kommen konnte – so heilig, so rührend, so weise ist dieser Gedanke und so sehr macht er dem Menschen Ehre! Ich selbst habe mir schon längst vorgenommen, nicht darüber nachzudenken, ob der Mensch Gott oder Gott den Menschen erschaffen hat. Selbstverständlich werde ich auch nicht alle diesbezüglichen modernen Axiome der jungen Russen überprüfen, Axiome, die sämtlich aus westeuropäischen Hypothesen abgeleitet sind. Was dort nur eine Hypothese darstellt, ist für einen jungen Russen sogleich ein Axiom, und nicht nur für die Jungen, sondern wohl auch für manche Professoren; denn auch unsere russischen Professoren sind jetzt häufig nicht anders als die jungen Leute. Daher werde ich alle Hypothesen übergehen. Was haben denn wir beide, ich und du, jetzt für eine Aufgabe? Sie besteht darin, daß ich dir möglichst schnell mein Wesen klarmache, dir sage, was ich für ein Mensch bin, woran ich glaube, worauf ich hoffe – so ist es doch wohl, nicht wahr? Und darum will ich auch die Erklärung abgeben, daß ich Gott einfach und ohne jeden Umstand akzeptiere. Aber ein Punkt will dabei bedacht sein. Wenn Gott existiert und wenn er tatsächlich die Erde geschaffen hat, so hat er sie, wie wir genau wissen, auf der Grundlage der euklidischen Geometrie geschaffen und den menschlichen Verstand nur mit der Vorstellung von drei Dimensionen des Raumes begabt. Trotzdem gab es und gibt es noch jetzt Mathematiker und Philosophen, und sogar sehr bedeutende, die daran zweifeln, daß das ganze Weltall oder, noch umfassender gesagt, alles Sein nur auf der Grundlage der euklidischen Geometrie geschaffen ist, und sich sogar zu dem phantastischen Gedanken versteigen, zwei parallele Linien, die sich nach Euklid auf Erden unter keinen Umständen schneiden, könnten sich in der Unendlichkeit vielleicht doch irgendwo schneiden. Ich, mein Täubchen, habe mir gesagt: Wenn ich nicht einmal das zu begreifen imstande bin, wie soll ich dann etwas von Gott begreifen? Ich gestehe demütig, daß meine Fähigkeiten zur Lösung solcher Fragen nicht ausreichen, ich habe nur einen euklidischen, irdischen Verstand – wie könnten wir daher über Dinge urteilen, die nicht von dieser Welt sind? Und auch dir, Aljoscha, rate ich, niemals über dergleichen nachzudenken, und am allerwenigsten über Gott, ob er existiert oder nicht. All diese Fragen sind völlig ungeeignet für einen Verstand, der nur mit der Vorstellung von drei Dimensionen begabt ist. Also ich akzeptiere Gott, und ich tue das nicht nur gern, sondern, was noch mehr ist, ich akzeptiere auch seine Allweisheit und sein Ziel: zwei uns völlig unbekannte Dinge. Ich glaube an eine Ordnung und einen Sinn des Lebens; ich glaube an eine ewige Harmonie, in der wir alle aufgehen werden; ich glaube an das Wort, nach dem das Weltall hinstrebt und das selbst ›von Gott war‹ und das selbst Gott ist, na und so weiter und so fort bis ins unendliche. Worte sind darüber ja viele gemacht worden. Es scheint, daß ich schon auf gutem Wege bin, wie? Aber nun stell dir vor, daß ich in letzter Konsequenz diese göttliche Welt nicht akzeptiere und sie, obwohl ich weiß, daß sie existiert, dennoch überhaupt nicht anerkenne. Was ich nicht akzeptiere, ist nicht Gott, versteh mich recht! Die von ihm geschaffene Welt, die göttliche Welt, akzeptiere ich nicht, kann ich mich nicht entschließen zu akzeptieren. Ich will mich deutlicher ausdrücken. Ich bin wie ein kleines Kind davon überzeugt, daß die Leiden heilen und vernarben werden, daß die ganze beleidigende Komik der menschlichen Widersprüche wie ein klägliches Trugbild, wie die häßliche Erfindung eines schwächlichen, nur atomgroßen euklidischen Menschenverstandes verschwinden wird, daß sich endlich beim großen Weltfinale, im Augenblick der ewigen Harmonie etwas sehr Kostbares ereignen und offenbaren wird. Etwas, was ausreicht für alle Herzen, ausreicht zur Stillung allen Unwillens, zur Sühne aller menschlichen Übeltaten und allen von Menschen vergossenen Blutes. Etwas, was ausreicht, um alles, was mit den Menschen geschehen ist, nicht nur zu entschuldigen, sondern sogar zu rechtfertigen. Mag das alles also geschehen und sich offenbaren – ich aber akzeptiere es nicht und will es nicht akzeptieren! Mögen sich die parallelen Linien schneiden und mag ich das selber sehen: Ich werde

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