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Die Brüder Karamasow

Die Brüder Karamasow

Titel: Die Brüder Karamasow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
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beunruhigt es dich so, Aljoscha, daß ich wegfahre? Wir haben ja noch Gott weiß wieviel Zeit bis zu meiner Abreise. Eine ganze Ewigkeit, eine endlose Zeit!«
    »Wenn du morgen wegfährst, was ist das für eine Ewigkeit?«
    »Was macht das uns beiden aus?« antwortete Iwan lachend »Was uns am Herzen liegt, können wir jedenfalls noch in Ruhe durchsprechen. Ich meine das, weswegen wir hierhergekommen sind. Warum siehst du mich so erstaunt an? Antworte, weswegen sind wir hier zusammengekommen? Um über meine Liebe zu Katerina Iwanowna zu reden? Oder über den Alten und Dmitri? Oder über das Ausland? Oder über die mißliche Lage Rußlands? Oder über Kaiser Napoleon? Ja? Deswegen?«
    »Nein, deswegen nicht.«
    »Also weißt du selbst, weswegen. Für uns Grünschnäbel ist etwas anderes wichtig als für andere Leute. Wir müssen vor allem Ewigkeitsfragen lösen, das ist unsere Sorge. Das ganze junge Rußland diskutiert jetzt nur über Ewigkeitsfragen. Gerade jetzt, da die alten Leute angefangen haben, sich mit praktischen Fragen zu beschäftigen. Warum hast du mich drei Monate erwartungsvoll angesehen? Doch wohl, um mich zu fragen: Was glaubst du? Oder glaubst du überhaupt nicht? Das bedeuteten doch drei Monate lang Ihre Blicke, Alexej Fjodorowitsch, ist es nicht so?«
    »Vielleicht ist es so«, erwiderte Aljoscha lächelnd. »Du machst dich doch nicht über mich lustig, Bruder?«
    »Ich sollte mich über dich lustig machen? Ich werde doch mein Brüderchen, das mich drei Monate so erwartungsvoll angesehen hat, nicht betrüben! Aljoscha, sieh mich an! Ich bin doch genauso ein junger Russe wie du, höchstens daß ich kein Novize hin. Nun, wie treiben es die jungen Russen bis jetzt? Das heißt manche? Nimm beispielsweise diese stinkende Kneipe hier. Da kommen sie zusammen und setzen sich in eine Ecke. Im ganzen bisherigen Leben haben sie einander nicht gekannt, und wenn sie das Lokal verlassen, werden sie einander wieder vierzig Jahre nicht kennen. Also: worüber werden sie in der kurzen Spanne Zeit reden, die sie in der Kneipe erhascht haben? Über die Weltfragen – anders kann es nicht sein! Ob es einen Gott und eine Unsterblichkeit gibt. Und die nicht an Gott glauben, werden über den Sozialismus und den Anarchismus sprechen und über die Umgestaltung der ganzen Menschheit, was auf die alleinige Existenz des Teufels hinausläuft – alles dieselben Fragen, nur vom anderen Ende her. Ein Großteil unserer originellsten jungen Russen hat in unserer Zeit weiter nichts zu tun, als über Ewigkeitsfragen zu reden. Ist es etwa nicht so?«
    »Ja, für einen echten Russen sind allerdings die Fragen, ob es einen Gott und eine Unsterblichkeit gibt, oder wie du dich ausdrückst, die ›Fragen vom anderen Ende her‹ die allerwichtigsten, und so muß es auch sein«, sagte Aljoscha und sah seinen Bruder immer noch mit einem stillen, forschenden Lächeln an.
    »Siehst du, Aljoscha, ein Russe zu sein ist manchmal überhaupt nicht klug. Und etwas Dümmeres als das, womit sich jetzt die jungen Russen beschäftigen, kann man sich gar nicht vorstellen. Aber einen jungen Russen, er heißt Aljoschka, habe ich doch schrecklich lieb.«
    »Das ist ja ein prächtiger Abschluß, den du dem Ganzen gegeben hast!« erwiderte Aljoscha lachend.
    »So, nun sag, womit wir anfangen, bestimme selbst! Mit Gott? Ob Gott existiert? Ja?«
    »Fang an, womit du willst, meinetwegen auch ›vom anderen Ende her‹. Denn du hast ja gestern beim Vater behauptet, es gebe keinen Gott«, sagte Aljoscha mit einem prüfenden Blick auf seinen Bruder.
    »Gestern während des Essens beim Alten habe ich dich absichtlich damit aufgezogen und bemerkt, wie deine Augen plötzlich anfingen zu funkeln. Aber jetzt bin ich gar nicht abgeneigt, mit dir darüber zu verhandeln, das sage ich im vollen Ernst. Ich möchte dir näherkommen, Aljoscha, denn ich habe keine Freunde. Ich will es wenigstens versuchen! Nun stell dir vor, vielleicht erkenne ich sogar die Existenz Gottes an«, schloß Iwan lachend. »Das kommt dir unerwartet, wie?«
    »Ja gewiß. Wenn es bloß nicht wieder ein Scherz ist.«
    »Ein Scherz? Das wurde gestern beim Starez gesagt. Ich würde wohl nur scherzen? Siehst du, Täubchen, es gab im achtzehnten Jahrhundert einen alten Sünder, der äußerte die Ansicht, wenn Gott nicht existierte, müsse man ihn erfinden. ›S'il n'existait pas Dieu, il faudrait l'inventer.‹ Und tatsächlich hat der Mensch Gott erfunden. Und nicht daß es wirklich einen Gott gibt, ist

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