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Die Brüder Karamasow

Die Brüder Karamasow

Titel: Die Brüder Karamasow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
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persönlich zeigen, sondern durch die Zeitungen um Almosen bitten. Abstrakt kann man seinen Nächsten noch lieben, aus der Ferne manchmal auch, von nahem jedoch fast nie. Wenn alles so wäre wie im Theater, im Ballett, wo Bettler in seidenen Lumpen und zerrissenen Spitzen erscheinen und graziös tanzend um Almosen bitten, könnte man sie noch mit Vergnügen und Interesse betrachten. Betrachten, wohlgemerkt nicht lieben. Doch genug davon. Ich mußte dich nur erst auf meinen Standpunkt stellen. Eigentlich wollte ich von den Leiden der Menschheit überhaupt reden, aber es ist wohl besser, wenn wir uns auf die Leiden der Kinder beschränken. Dadurch wird der Umfang meiner Beweisführung zwar auf ein Zehntel gemindert, und doch redet man besser nur von den Kindern. Für mich ist diese Beschränkung freilich nicht vorteilhaft. Aber erstens kann man die Kinder sogar aus der Nähe lieben, sogar die schmutzigen, sogar die mit häßlichen Gesichtern; mir scheint übrigens, Kinder haben nie häßliche Gesichter. Zweitens werde ich auch deswegen nicht von den Erwachsenen reden, weil bei ihnen, abgesehen davon, daß sie widerwärtig sind und keine Liebe verdienen, lediglich so etwas wie eine Vergeltung stattfindet. Sie haben von dem Apfel gegessen und erkannt, was gut und böse ist, und sind ›wie Gott‹ geworden. Und sie essen auch weiterhin von dem Apfel. Die Kinderchen jedoch haben nicht davon gegessen und sind einstweilen noch völlig unschuldig. Liebst du die Kinder, Aljoscha? Ich weiß, daß du sie liebst, und es wird dir verständlich sein, warum ich jetzt nur von ihnen spreche. Wenn nun auf Erden auch sie furchtbar leiden müssen, so büßen sie natürlich für ihre Väter. Sie werden für ihre Väter bestraft, die von dem Apfel gegessen haben – aber das ist ein Gedanke, der einer anderen Welt angehört und dem Menschenherzen hier auf Erden unverständlich ist. Es darf doch nicht ein Unschuldiger für einen anderen leiden, und noch dazu so ein Unschuldiger! Staune über mich, Aljoscha: Auch ich liebe die Kinder über alle Maßen. Und wohlgemerkt, grausame, leidenschaftliche, sinnliche Menschen, Menschen vom Schlage der Karamasows lieben Kinder manchmal sehr. Solange sie wirklich Kinder sind, sagen wir bis zum siebenten Lebensjahr, sind Kinder von den Erwachsenen grundverschieden: als ob sie andere Wesen wären und eine ganz andere Natur hätten. Im Gefängnis habe ich einen Räuber gekannt. Wenn er nachts in die Häuser eingedrungen war und ganze Familien ermordet hatte, so war es vorgekommen, daß er dabei auch Kinder abschlachtete. Doch im Gefängnis liebte er sie leidenschaftlich. Er stand dauernd am Fenster und sah den auf dem Gefängnishof spielenden Kindern zu. Einen kleinen Jungen hatte er dazu gebracht, zu ihm unters Fenster zu kommen, und der Kleine hatte sich schon richtig mit ihm angefreundet ... Du weißt nicht, weswegen ich das alles sage, Aljoscha? Ich habe Kopfschmerzen, und es ist mir traurig zumute.«
    »Du machst beim Sprechen eine sonderbare Miene«, bemerkte Aljoscha beunruhigt. »Als ob du überaus erregt wärst.«
    »Ach übrigens«, fuhr Iwan Fjodorowitsch fort, als hätte er die Worte seines Bruders gar nicht gehört, »unlängst hat mir ein Bulgare in Moskau erzählt, was für Greueltaten die Türken und Tscherkessen aus Furcht vor einem allgemeinen Aufstand der Slawen überall in Bulgarien verüben. Sie sengen und brennen, morden, vergewaltigen Frauen und Kinder, nageln Gefangene mit den Ohren an Zäune und lassen sie so die Nacht über stehen, um sie dann aufzuhängen, und so weiter. Vieles davon kann man sich überhaupt nicht vorstellen. Man spricht mitunter von der ›bestialischen‹ Grausamkeit eines Menschen – aber das ist den Bestien gegenüber eine arge Ungerechtigkeit und Beleidigung. Eine Bestie kann nie so grausam sein wie der Mensch, auf so raffinierte, kunstvolle Art grausam. Der Tiger beißt einfach zu und zerreißt, weiter kann er nichts. Es würde ihm gar nicht in den Sinn kommen, Menschen über Nacht an den Ohren festzunageln, selbst wenn er das könnte. Diese Türken haben unter anderem auch Kinder geradezu wollüstig gefoltert. So haben sie mit ihren Dolchen Ungeborne ne aus dem Mutterleib geschnitten und Säuglinge vor den Augen der Mütter in die Höhe geworfen, und mit den Bajonetten aufgefangen. Daß dies vor den Augen der Mütter geschah, war die besondere Würze des Vergnügens. Und nun will ich dir eine kleine Geschichte erzählen, die mir besonders interessant

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