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Die Brüder Karamasow

Die Brüder Karamasow

Titel: Die Brüder Karamasow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
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es sehen und sagen, daß sie sich geschnitten haben, werde es aber trotzdem nicht akzeptieren. Siehst du, Aljoscha, das ist mein Wesen, das ist meine These. Ich habe dir das alles im vollen Ernst gesagt. Ich habe dieses Gespräch mit dir absichtlich in der denkbar dümmsten Weise angefangen, es dann jedoch bis zu meiner Beichte fortgeführt, weil du sie nur wirklich hören mußt. Über Gott brauchtest du nichts zu hören. Du solltest nur hören, wovon dein Bruder lebt, den du so liebhast. Und das habe ich dir gesagt.«
    Iwan schloß seine lange Tirade mit einem eigentümlichen, unerwarteten Gefühlsausbruch.
    »Wieso hast du denn in der ›denkbar dümmsten Weise‹ angefangen?« fragte Aljoscha und sah Iwan nachdenklich an.
    »Erstens schon aus russischem Patriotismus. Gespräche über diese Themen werden von Russen immer in der denkbar dümmsten Weise geführt. Zweitens, weil man einer Sache um so näherkommt, je dümmer man anfängt. Je dümmer, desto klarer. Die Dummheit drückt sich kurz und schlicht aus. Der Verstand macht hingegen Winkelzüge und versteckt sich. Der Verstand ist ein Schuft, die Dummheit ist offen und ehrlich. Ich lenkte dies Gespräch zuletzt auf meine Verzweiflung, und je dümmer ich sie dir dargestellt habe, um so vorteilhafter ist es für mich.«
    »Wirst du mir noch erklären, weswegen du ›die Welt nicht akzeptierst‹?« fragte Aljoscha.
    »Natürlich werde ich es dir noch erklären; es ist kein Geheimnis, darauf wollte ich ja auch hinaus. Mein lieber Bruder, ich will dich nicht von deinem festen Standpunkt abbringen oder weglocken. Ich möchte mich, falls irgend möglich, durch dich heilen«, sagte Iwan und lächelte plötzlich sanft wie ein kleiner Junge. Noch nie hatte Aljoscha so ein Lächeln bei ihm gesehen.
4. Rebellion
    »Ich muß dir ein Geständnis machen«, begann Iwan. »Ich habe nie begreifen können, wie es möglich ist, seinen Nächsten zu lieben. Gerade die einem am nächsten stehen, kann man meiner Ansicht nach nicht lieben, höchstens noch die Fernstehenden. Ich habe einmal irgendwo über den Heiligen Johannes den Barmherzigen gelesen, er habe, als ein hungriger, durchfrorener Wanderer zu ihm kam, sich mit ihm zusammen ins Bett gelegt, ihn umarmt und ihm in den Mund gehaucht, der infolge einer schrecklichen Krankheit mit eiternden Geschwüren besetzt war und übel roch. Ich bin überzeugt, daß er das in einer Art verlogener Überspanntheit tat, weil die Liebe durch die Pflicht geboten ist, vielleicht auch weil er sich damit selbst eine Buße auferlegen wollte. Damit man einen Menschen lieben kann, muß er sich versteckt halten; sowie er sein Gesicht zeigt, ist die Liebe verschwunden.«
    »Darüber hat der Starez Sossima wiederholt gesprochen«, bemerkte Aljoscha. »Er sagte auch, das Gesicht eines Menschen hindere viele, die in der Liebe noch keine Erfahrung hätten, ihn zu lieben. Es gibt aber auch viel Liebe in der Menschheit, und zwar solche, die der Liebe Christi ähnlich ist, das weiß ich selbst, Iwan ...«
    »Nun, ich für meine Person weiß es vorläufig noch nicht und kann es nicht begreifen. Und unzähligen Menschen geht es wie mir. Die Frage ist nun, ob das von speziellen schlechten Eigenschaften der Menschen herrührt oder davon, daß das nun einmal allgemein in der menschlichen Natur liegt. Meiner Ansicht nach ist die Liebe Christi zu den Menschen ein in seiner Art auf Erden unmögliches Wunder. Freilich. Er war ein Gott. Aber wir sind keine Götter. Angenommen, ich zum Beispiel wäre imstande, schweres Leid zu ertragen: Kein anderer könnte erkennen, in welchem Grad ich leide, weil er eben ein anderer ist und nicht ich. Und überhaupt ist der Mensch selten bereit, einen anderen als großen Dulder anzuerkennen – als ob das ein Rang wäre. Warum ist er dazu nicht bereit, was meinst du? Weil ich zum Beispiel schlecht rieche, ein dummes Gesicht habe und ihm irgendwann auf den Fuß getreten habe. Außerdem ist zwischen Leiden und Leiden ein Unterschied! Ein Leiden, das mich erniedrigt, wie zum Beispiel Hunger, erkennt mein Wohltäter noch an; sowie aber das Leiden höherer Art ist, zum Beispiel ein Leiden für eine Idee, erkennt er es nur in seltenen Fällen an, zum Beispiel, weil er mich ansieht und bemerkt, daß ich gar nicht so ein Gesicht habe, wie es seiner Einbildung nach jemand haben muß, der für so eine Idee leidet. Und da verweigert er mir denn sofort seine Wohltaten, und gar nicht einmal aus Bosheit. Bettler, vor allem adlige, sollten sich nie

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