Die Brüder Karamasow
schleudern‹, dann werde ich zu dir kommen, wo immer du auch bist – und noch einmal mit dir reden ... Und wenn ich gar in Amerika wäre – ich würde extra deswegen zu dir kommen, das sollst du wissen! Es wird mich sehr interessieren, dich dann zu sehen, was für ein Mensch du sein wirst. Hast du gehört, das war ein recht feierliches Versprechen! Wir nehmen jetzt aber tatsächlich vielleicht für sieben oder zehn Jahre Abschied. So, nun geh zu deinem Pater Seraphicus, der liegt im Sterben. Stirbt er in deiner Abwesenheit, wärst du mir womöglich noch böse, daß ich dich aufgehalten habe. Auf Wiedersehen, küß mich noch einmal. So ... Geh jetzt!«
Iwan drehte sich plötzlich um und ging weg, ohne sich noch einmal umzuwenden. Das ähnelte der Art, wie tags zuvor Dmitri von Aljoscha weggegangen war, obgleich das wieder ganz anders gewesen war. Diese sonderbare kleine Wahrnehmung ging Aljoscha, betrübt und bekümmert, wie er in diesem Augenblick war, wie ein Pfeil, durch den Sinn. Er wartete noch ein Weilchen und schaute seinem Bruder nach. Dabei bemerkte er zufällig, daß sein Bruder Iwan eigentümlich schwankend lief und daß, von hinten gesehen, seine rechte Schulter niedriger zu sein schien als die linke. Das war ihm früher noch nie aufgefallen.
Dann drehte er sich ebenfalls um und eilte rasch, beinahe laufend, zum Kloster. Es dämmerte schon stark, und er hatte fast ein bißchen Angst. Etwas Unklares keimte in ihm auf, ein neuer Zweifel, auf den er keine Antwort wußte. Wie am vorhergehenden Tag hatte sich wieder ein Wind erhoben, und um ihn rauschten die alten Fichten, als er in das Wäldchen der Einsiedelei kam. Er fing beinahe an zu rennen. ›Pater Seraphicus, diesen Namen hat er irgendwoher, doch woher nun genau?‹ überlegte er. ›Iwan, armer Iwan, wann werde ich dich jetzt wiedersehen? Da ist ja die Einsiedelei, Gott sei Dank! Ja, er ist ein Pater Seraphicus, das ist er! Er wird mich retten ... Vor ihm und für alle Zeit!‹
Später fragte er sich wiederholt verständnislos, wie er nach dem Abschied von Iwan so vollständig seinen Bruder Dmitri hatte vergessen können, obwohl er sich am Vormittag, nur wenige Stunden früher, fest vorgenommen hatte, ihn unbedingt aufzusuchen und nicht wegzugehen, ehe er ihn gesehen hatte – selbst wenn er in dieser Nacht nicht mehr ins Kloster zurückkehren konnte.
6. Ein vorläufig sehr unklares Kapitel
Als Iwan Fjodorowitsch sich von Aljoscha verabschiedet hatte, ging er nach Hause, ins Haus seines Vaters. Doch sonderbar, auf einmal überkam ihn eine unerträgliche Mißstimmung, und was die Hauptsache war, sie steigerte sich mit jedem Schritt, den er sich dem Haus näherte. Sonderbar war dabei nicht die Mißstimmung an sich, sondern daß Iwan Fjodorowitsch sich beim besten Willen nicht erklären konnte, worin die Mißstimmung eigentlich bestand. Mißgestimmt zu sein, das war ihm auch früher häufig vorgekommen, und es wäre nicht verwunderlich gewesen, wenn eine solche Mißstimmung in dem Augenblick aufkam, da er mit allem gebrochen hatte, was ihn hierherzog, und da er sich anschickte, erneut eine scharfe Wendung zu machen und wieder allein wie früher, einen neuen, völlig unbekannten Weg einzuschlagen, einen Weg, auf dem er vom Leben vieles, sehr vieles erhoffte und erwartete, ohne selbst diese Erwartungen oder auch nur seine Wünsche genauer umreißen zu können. Aber obwohl eine gewisse Furcht vor dem Neuen und Unbekannten tatsächlich in seiner Seele vorhanden war – nicht das war es, was ihn in diesem Augenblick quälte. ›Ob es der Widerwillen gegen das Vaterhaus ist? Es sieht danach aus, so zuwider ist mir dieses Haus geworden! Und obwohl ich heute zum letztenmal diese verabscheute Schwelle überschreite, ist mein Widerwille doch der gleiche ...‹ Doch nein, das war es auch nicht. Vielleicht der Abschied von Aljoscha und das Gespräch mit ihm? ›So viele Jahre habe ich der ganzen Welt gegenüber geschwiegen, und nun auf einmal habe ich so viel Unsinn zusammengeredet!‹ Wirklich, es konnte jugendlicher Ärger über seine jugendliche Unerfahrenheit und Eitelkeit sein, ein Ärger darüber, daß er nicht verstanden hatte sich auszudrücken, noch dazu vor einem Menschen wie Aljoscha, auf den er in seinem Herzen große Hoffnungen setzte. Zwar war auch dieser Ärger zweifellos vorhanden, aber auch das war nicht der Grund seiner Mißstimmung. ›Eine Mißstimmung bis zur Übelkeit – dabei bin ich nicht imstande anzugeben, was ich eigentlich will.
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