Die Brüder Karamasow
aber trotzdem sehr lustig war. In ihren großen dunklen Augen mit den langen Wimpern lag etwas Schelmisches. Die Mutter hatte schon seit dem Frühjahr die Absicht, sie ins Ausland zu bringen, doch hatte die Verwaltung des Gutes sie aufgehalten. Etwa eine Woche hielten sie sich schon in unserer Stadt auf, mehr in geschäftlichen Angelegenheiten als zu einer Pilgerfahrt, und schon einmal, vor drei Tagen, hatten sie den Starez besucht. Jetzt waren sie plötzlich wiedergekommen, obgleich sie wußten, daß der Starez kaum noch jemand empfangen konnte, hatten sie inständig das Glück erfleht, »den großen Heilbringer sehen zu dürfen«. Während sie auf den Starez warteten, saß die Mama neben dem Rollstuhl der Tochter, und zwei Schritte entfernt stand ein alter Mönch, der aus einem fernen, wenig bekannten Kloster im Norden gekommen war. Er wollte sich gleichfalls vom Starez segnen lassen.
Als der Starez auf der Galerie erschien, schritt er an allen eben erwähnten Personen vorbei und ging zunächst zum einfachen Volk. Die Menge drängte zu den drei Stufen, die auf die niedrig gelegene Galerie führten. Der Starez trat auf die oberste Stufe, legte das Schultertuch um und segnete die herandrängenden Frauen. Auch eine Schreikranke wurde an beiden Armen zu ihm hingezogen. Kaum hatte sie den Starez erblickt, begann sie unbändig zu winseln und zu schluchzen und zuckte wie bei einem epileptischen Anfall am ganzen Körper. Der Starez legte ihr das Schultertuch auf den Kopf und sprach ein kurzes Gebet über sie, worauf sie gleich verstummte und sich beruhigte. Ich weiß nicht, wie es jetzt damit steht, aber in meiner Kindheit hatte ich oft Gelegenheit, diese Schreikranken auf dem Lande und in Klöstern zu sehen und zu hören. Man führte sie zur Messe, und sie kreischten oder bellten wie Hunde, so daß es durch die ganze Kirche schallte; brachte man sie aber zum Sakrament, hörte die »Besessenheit« sofort auf, und die Kranken beruhigten sich für einige Zeit. Das machte auf mich als Kind einen außerordentlichen Eindruck und erfüllte mich mit großem Erstaunen. Aber damals hörte ich auf meine Fragen von einigen Gutsbesitzern und besonders von meinen Lehrern in der Stadt, das alles sei nur Verstellung, Arbeitsscheu, und lasse sich jederzeit durch Strenge beseitigen, zur Bekräftigung wurden allerlei Geschichtchen erzählt. Später hörte ich zu meiner Verwunderung von Fachärzten, daß es sich hierbei ganz und gar nicht um Verstellung handle, sondern um eine schreckliche Frauenkrankheit, die vor allem bei uns in Rußland auftritt und von dem schweren Los unserer Dorfbewohnerinnen zeugt! Ursache der Krankheit sei, daß nach schweren Entbindungen, die nicht ordnungsgemäß und ohne ärztlichen Beistand vorgenommen werden, zu früh wieder anstrengende Arbeit aufgenommen werde; hinzu kämen ausweglose Sorgen, Schläge und so weiter, was manche Frauennaturen nicht wie so viele andere ertragen könnten. Die seltsame augenblickliche Heilung »besessener« und um sich schlagender Frauen angesichts des Sakraments – eine Heilung, die man mir als von den Pfaffen inszenierten Hokuspokus erklärt hatte – erfolge wahrscheinlich ebenfalls auf natürliche Weise. Die Frauen, die die Kranken zum Sakrament brachten, und vor allem die Kranken selbst seien fest überzeugt, daß der unreine Geist es niemals erträgt, wenn sie zum Sakrament geführt werden und vor ihm ihre Knie beugen. Aus diesem Grunde vollziehe sich in den nervösen und natürlich geisteskranken Frauen im Augenblick des Kniefalls vor dem Sakrament eine unvermeidliche Erschütterung des gesamten Organismus, hervorgerufen durch den festen Glauben an das Wunder der Heilung. Und so trete sie denn auch ein, wenngleich nur für sehr kurze Zeit.
Und sie trat auch jetzt ein, sobald der Starez die Kranke mit dem Schultertuch bedeckt hatte.
Viele der ihn umdrängenden Frauen waren vom Eindruck des Augenblicks überwältigt und brachen in Tränen der Rührung und des Entzückens aus. Andere wollten wenigstens den Saum seines Gewandes küssen. Manche sprachen Gebete. Der Starez erteilte allen den Segen und ließ sich mit einigen in ein Gespräch ein. Die Schreikranke kannte er schon; sie war nicht zum erstenmal und nicht von weit her, sondern aus einem nur sechs Werst entfernten Dorf zu ihm gebracht worden.
»Aber da ist eine, die kam von weit her!« sagte er und zeigte auf eine noch gar nicht alte, aber sehr magere, abgezehrte Frau, deren Gesicht von der Sonne verbrannt, ja
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