Al Wheeler und die tote Lady
ERSTES KAPITEL
H elles Sonnenlicht knallte mir
buchstäblich ins Gesicht, als ich die Tür öffnete; und einen Augenblick lang
konnte ich nichts weiter als einen schimmernden tizianroten Heiligenschein
erkennen. Ich kniff ein paar Sekunden lang die Augen zu, öffnete sie dann wieder
vorsichtig — und eine ganze Menge interessanter Details enthüllte sich mir
unter der dunkelroten Haarkappe mit den Ponyfransen. Es war ein verflixtes
Gesicht, mit glitzernden grünen Augen und einer Nase, der ihre Kürze und
Stumpfheit völlig egal war. Als sich der große Mund zu einem Lächeln verzog,
sprang die Unterlippe in einer Weise vor, die etwas angenehm sinnlich
Schmollendes hatte.
Sie war schätzungsweise Mitte
Zwanzig, und sah aus, als ob sie, was Erfahrung betraf, ungefähr dreißig Jahre
älter hätte sein können. Das blaue Oberteil ihres Anzugs umgab recht knapp die
eindrucksvoll üppigen Brüste, und die dazu passende Hose schmiegte sich um die
harmonische Rundung ihrer Hüften. Dazwischen lag eine interessante Strecke
elfenbeinfarbener Haut — bis jeweils ungefähr zehn Zentimeter ober- und
unterhalb des Nabels.
»Mr. Wheeler?« Ihre Stimme war
kehlig und eine Spur heiser.
»Ganz recht,« sagte ich.
»Ich habe in der Gästekartei
nachgesehen. Sie sind aus Pine City?«
»Stimmt ebenfalls.« Ich nickte.
»Ich habe mir überlegt, ob Sie
mir vielleicht helfen würden zu feiern? Allein zu trinken ist so trostlos.« Sie
schüttelte den Shaker, den sie in beiden Händen hielt, und ich hörte das
melodische Klingeln von Eiswürfeln. »Darf ich hineinkommen?«
Ich öffnete die Tür weiter und
trat automatisch beiseite, wurde aber sofort innerlich von dem rhythmischen
Schwung ihres hübsch gerundeten Hinterteils in Anspruch genommen, bis sie
schließlich neben der Kommode zum Stillstand kam. Nachdem ich die Tür des
Motelzimmers geschlossen hatte, ging ich langsam auf sie zu, nach wie vor
voller Befürchtung, sie könnte sich nur als eine der besseren Gestalten aus
meinen Phantasieträumen entpuppen.
»Haben Sie vielleicht Gläser?«
Ihre Stimme klang ungeduldig.
Ich holte zwei Gläser aus dem
Badezimmer, goß sie aus dem Shaker voll und gab ihr eins. Sie ließ sich im
nächsten Sessel nieder, schlug die schlanken langen Beine übereinander und
wirkte plötzlich, als habe sie sich mindestens seit den letzten beiden Tagen
hier in meinem Zimmer aufgehalten.
»Was feiern wir eigentlich?«
fragte ich höflich.
»Daß es mit meiner Scheidung
nicht geklappt hat. Aber — obwohl ich mich damit selber loben muß — es war
immerhin ein netter Versuch, und beinahe hätte es geklappt.« Sie lächelte
träge. »Ich heiße übrigens Tracy Tenison.«
»Ich bin Al Wheeler«, sagte
ich.
»Tracy und Al?« Sie dachte ein
paar Sekunden lang nach und zog dann eine Grimasse. »Klingt fast nach einem
dieser mehr hochgestochenen Comic strips , worin ich
eine Lesbierin und Sie schwul wären. »Trotzdem — «, sie hob ihr Glas, »trinken
wir auf meine schöne Freiheit.«
Obwohl ich an sich Scotch
bevorzuge, war der Martini eine gute Sieben-zu-eins-Mixtur. Als ich mein Glas
senkte, starrten mich ihre grünen Augen mit einem kalt berechnenden Blick an.
Das machte mich leicht nervös. Denn wer konnte das wissen, vielleicht war sie
die lokale Jill- the -Ripper und überlegte gerade, auf
welche Weise sie mir am besten den Hals aufschlitzen konnte.
»Bleiben Sie lange in Reno?«
fragte sie plötzlich.
Ich schüttelte den Kopf. »Das
ist der Abschluß meines Urlaubs, nach zwei Wochen im Osten. Ich dachte, ich
wollte über die nördliche Route nach Hause fahren. All die vielen freien
Flächen in Wyoming wecken in mir Heimweh nach der guten alten Zeit, in der im
Fernsehen noch von morgens bis abends Western gezeigt wurden.«
»Jetzt fangen Sie aber zu
babbeln an, nicht wahr?« Sie kicherte schadenfroh. »Mache ich Sie nervös?«
»Und ob!« sagte ich
wahrheitsgemäß. »Was soll das alles, bitte?«
»Sie können zwei Aktivposten
für sich buchen, Freund.« Sie nippte bedächtig an ihrem Drink. »Sie sehen aus
wie ein vitales Mannsbild, das sich in einer Rauferei durchsetzen kann, und
außerdem wollen Sie nach Pine City fahren.«
»Was mir abgeht, ist
Intuition«, knurrte ich. »Wie wär’s, wenn Sie sich deutlicher ausdrückten?«
»Ich möchte, daß Sie mich in
dem süßen kleinen Sportwagen, der draußen steht, mitnehmen.« Sie fuhr sich mit
der rosigen Zungenspitze über die Unterlippe. »Ich garantiere Ihnen, daß Sie
sich
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