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Die Brüder Karamasow

Die Brüder Karamasow

Titel: Die Brüder Karamasow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
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Jetzt werden alle Frömmler in der Stadt davon reden und es im ganzen Gouvernement herumtragen: Was hat diese Verbeugung zu bedeuten? Nach meiner Ansicht besitzt der Alte wirklich eine prophetische Gabe. Er wittert ein Verbrechen. Es stinkt bei euch!«
    »Was für ein Verbrechen?«
    Rakitin hatte offenbar Lust, mehr zu sagen.
    »In eurer Familie wird es geschehen, dieses Verbrechen. Zwischen deinen Brüdern und deinem reichen Vater. Und deshalb hat Vater Sossima für jeden künftigen Fall mit der Stirn auf die Diele gebumst. Mag sich später ereignen, was da will – man wird sagen: Der heilige Starez hat es vorhergesagt, hat es prophezeit! Im Grunde – was ist das schon für eine Prophezeiung, wenn er mit der Stirn auf die Diele bumst? Aber man wird es für eine symbolische, allegorische Handlung nehmen, der Teufel mag wissen, wofür! Man wird es ausposaunen und im Gedächtnis behalten. Er hat das Verbrechen geahnt und den Verbrecher bezeichnet, wird es heißen. Die religiösen Irren machen es immer so: Sie segnen die Schenke und bewerfen das Gotteshaus mit Steinen. Und ebenso macht es dein Starez: Den Gerechten vertreibt er mit dem Stock, und vor dem Mörder verbeugt er sich.«
    »Von welchem Verbrechen sprichst du? Von welchem Mörder? Was meinst du eigentlich?« Aljoscha stand wie angewurzelt da, und auch Rakitin blieb stehen.
    »Von welchem? Als ob du das nicht wüßtest! Ich möchte wetten, daß du schon selber daran gedacht hast. Apropos, das wäre interessant! Hör mal, Aljoscha, du sagst ja immer die Wahrheit, obgleich du dich immer zwischen zwei Stühle setzt – hast du daran gedacht oder nicht? Antworte!«
    »Ja, ich habe daran gedacht«, antwortete Aljoscha leise. Sogar Rakitin bekam einen Schreck.
    »Was? Auch du hast wirklich daran gedacht?« rief er.
    »Ich ... Ja, eigentlich habe ich nicht daran gedacht«, murmelte Aljoscha. »Aber als du eben so sonderbar davon sprachst, da war mir, als hätte ich wirklich daran gedacht.«
    »Siehst du wohl, wie klar du das ausdrückst! Als du heute deinen Papa und deinen Bruder Mitenka ansahst, hast du an ein Verbrechen gedacht? Ich irre mich also nicht?«
    »Warte mal, warte mal«, unterbrach ihn Aljoscha aufgeregt. »Woran siehst du das alles? Warum interessiert dich das so? Das ist die erste Frage.«
    »Das sind zwei verschiedene, aber sehr natürliche Fragen. Ich werde dir auf jede besonders antworten. Woran ich das sehe? Ich hätte nichts gesehen, wenn ich deinen Bruder Dmitri heute nicht plötzlich durchschaut hätte, ganz und gar, mit einem Schlag, so wie er ist. Bei diesen ehrenhaften, aber sinnlichen Menschen gibt es eine Grenze, die nicht überschritten werden darf. Sonst ... Sonst stößt er auch seinen Papa mit dem Messer nieder. Der Papa hingegen ist eine versoffene, hemmungslose Schlampe – die beiden werden sich nicht beherrschen und werden, plumps, im Graben landen!«
    »Nein, Mischa, wenn du nur das meinst, bin ich beruhigt. Dazu wird es nicht kommen.«
    »Warum zitterst du dann am ganzen Körper? Weißt du, wie so was vor sich geht? Wenn er auch ein ehrenhafter Mensch ist, dieser Mitenka, dumm, aber ehrenhaft – er ist doch ein Lüstling Das ist meine Definition, damit ist sein ganzes Wesen gekennzeichnet. Diese gemeine Sinnlichkeit hat er von seinem Vater geerbt. Ich wundere mich nur über dich, Aljoscha. Wie kommt es, daß du so ein reiner Jüngling bist? Du bist doch auch ein Karamasow! In eurer Familie hat sich doch die Sinnlichkeit zu einer Art Krankheit entwickelt. Drei Lüstlinge beobachten sich nun gegenseitig, jeder mit dem Messer im Stiefel. Drei sind schon mit den Köpfen zusammengerannt, du wirst vielleicht der vierte sein.«
    »Über diese Frau bist du im Irrtum. Dmitri verachtet sie«, sagte Aljoscha und schien dabei zu zittern.
    »Wen, Gruschenka? Nein, Bruder, die verachtet er nicht. Wenn er ihretwegen schon seine Braut ganz offen verläßt, dann verachtet er sie sicher nicht. Da ist etwas ... Da ist etwas, Bruder, was du noch nicht verstehst. Wenn sich ein Mensch in eine schöne Frau, in einen weiblichen Körper oder auch nur in einen Körperteil verliebt – nur ein sinnlich Veranlagter wird das begreifen –, so gibt er für diese Frau seine eigenen Kinder hin und verkauft für sie seinen Vater und seine Mutter und sein russisches Vaterland! Wenn er noch so ehrenhaft war, er wird hingehen und stehlen! Wenn er einen noch so sanften Charakter besaß, er wird morden! Wenn er noch so treu war, er wird zum Verräter werden!

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