TURT/LE: Gefährlicher Einsatz (German Edition)
Prolog
Afghanistan, Juli
Die gedämpften Schritte des Verfolgers kamen näher. Wer auch immer hinter ihnen her war, schien in ausgezeichneter Verfassung zu sein. Einige Minuten zuvor hatten sie die beunruhigende Nachricht erhalten, dass ihre Tarnung aufgeflogen war. Es war sicherer gewesen, sofort aufzubrechen – hatte Kyla zumindest gedacht. Durch die von der Regierung in dieser Region auferlegte Ausgangssperre war es sehr gefährlich, nach Einbruch der Dunkelheit auf der Straße zu sein. Sollten sie und ihre Kollegin Jade entdeckt werden, würden sie im Gefängnis landen – oder Schlimmeres. Die meisten der hier lebenden Menschen mochten keine Fremden, erst recht keine westlichen Frauen. Deshalb waren sie nun auf der Flucht, ohne ein Fahrzeug oder eine Idee, wohin sie gehen sollten. Natürlich hatten sie einen Notfallplan, aber zuerst mussten sie ein gutes Stück zwischen sich und ihre Unterkunft legen und den Verfolger loswerden. Leichter gesagt als getan. Tief im Schatten der beiderseits der Straße über ihnen aufragenden Gebäude versuchten sie, ihn abzuschütteln. Sollten sie von dem Verfolger gefangen genommen werden, der sicher zu der von ihnen ausgekundschafteten Terrorgruppe gehörte, waren sie so gut wie tot.
Wer hatte den wahren Grund ihres Hierseins verraten? Eigentlich sollten sie keinen Verdacht erregt haben, nicht umsonst hatten sie monatelang für die Undercover-Mission trainiert. Sie hatten alle zu hart daran gearbeitet, die Einheit auszubilden, es durfte nicht scheitern. Wenn es Jade und ihr jetzt gelang, unentdeckt das Land zu verlassen, würde es noch ein Erfolg werden. Doch gerade das schien ihr Verfolger verhindern zu wollen.
Der Schleier über Kylas Kopf und vor ihrem Gesicht dämpfte die Geräusche um sie herum und verstärkte gleichzeitig ihr eigenes Keuchen. Bevor sie nach Afghanistan gekommen war, war sie in der besten Form ihres Lebens gewesen, doch jetzt, nach mehreren Wochen ohne regelmäßiges Training, protestierten ihre Muskeln gegen die ausdauernde Bewegung. Schweiß lief ihren Rücken hinunter und verschwand im Bund der Tarnhose, die sie unter der Burka trug. Sowie sie aus der Stadt heraus waren und in die unwirtliche Natur eintauchten, konnten sie die Gewänder ausziehen. Doch solange noch die Möglichkeit bestand, dass sie anderen Menschen begegneten oder sogar verhaftet wurden, war es zu gefährlich.
Kyla hatte Berichte über Frauen gehört, die verstümmelt oder umgebracht worden waren, nur weil ein kleines Stückchen Haut zu sehen gewesen war. Theoretisch war das unter dem neuen Regime verboten, aber hier, mitten in einer Krisenzone, herrschte nicht das Gesetz, sondern die Macht der Stärkeren, und das waren eindeutig die Rebellengruppen.
Gerade deshalb waren sie hierhergekommen und nicht in eine der »sicheren« Städte gegangen. Während andernorts die Aufbauarbeiten vorangingen, lag in dieser Gegend immer noch alles in Trümmern. Obwohl die meisten Häuser unbewohnbar waren, lebten hier Menschen. Ganze Familien, Großeltern, Eltern, Onkel, Tanten und Kinder. So viele Kinder. Wie konnten sie es aushalten, so zu leben? Es gab nichts, manchmal noch nicht einmal das Lebensnotwendigste wie Wasser und Grundnahrungsmittel. Natürlich waren auch hier die Hilfsorganisationen gegenwärtig, aber sie hatten es schwer, sich gegen den Druck der Rebellen und das Misstrauen der Leute durchzusetzen. Vor allem kam die Hilfe auch nur zögerlich – wenn überhaupt – bei der Bevölkerung an. Ein Großteil versickerte wie in jeder Krisenzone in anderen Kanälen.
Aber das war nicht Kylas Problem. Sie waren einzig dafür zuständig, Informationen zu sammeln, auszuwerten und weiterzuleiten. Und das hatten sie getan, zumindest bis die Nachricht über ihre Entdeckung sie aus ihrem Versteck gezwungen hatte.
Geduckt liefen sie im Schatten der Ruinen immer weiter, wobei sie sich weitgehend an die Hauptstraße hielten. Nicht auszudenken, wenn sie plötzlich in einer Sackgasse gefangen wären. Jedes Mal wenn sie einem weiteren Schuttberg ausweichen mussten, der vor ihnen auftauchte, verloren sie ein wenig von ihrem Vorsprung. Es war klar, dass sie ihrem Verfolger nicht davonlaufen konnten, sie würden kämpfen müssen.
Genervt schob Kyla den Schleier von ihrem Kopf, um wenigstens etwas von ihrer Umgebung erkennen zu können. Nachdem die dämpfende Schicht verschwunden war, hörte sie die Schritte hinter ihnen viel lauter. Ihre Finger schlossen sich fester um die Pistole. Wie leicht wäre
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