Die Brüder Löwenherz
seiner Gnade bestimmt. Damit du dich wieder ans Licht gewöhnst und Katla sehen kannst, wenn man dich zu ihr führt. Das möchtest du doch wohl, nicht?« Darauf lachte er schallend und verschwand durch das Tor. Dröhnend fiel es ins Schloß.
Fast im selben Augenblick waren wir schon bei Orwar, im Schein der Laterne sahen wir ihn in seinem Käfig. Es war grauenhaft. Obwohl er sich kaum bewegen konnte, kroch er bis an die Gitterstäbe und streckte uns die Hände entgegen.
»Jonathan Löwenherz«, sagte er. »Von dir habe ich daheim im Heckenrosental viel gehört. Und nun bist du hier!« »Ja, nun bin ich hier«, sagte Jonathan, und erst jetzt merkte ich, daß auch er weinte, Orwar in seinem Elend beweinte. Aber schon riß er sein Messer aus der Scheide und stürzte sich auf den Käfig.
»Pack zu, Krümel, hilf mir!« riet er. Und auch ich ging mit dem Messer auf den Käfig los. Doch was ließ sich schon mit zwei Messern ausrichten? Eine Axt und eine Säge hätten wir gebraucht!
Dennoch schnitten und kerbten wir, bis uns die Hände bluteten. Und dabei weinten wir, denn wir wußten, wir waren zu spät gekommen. Auch Orwar wußte es, aber vielleicht wollte er es einfach nicht glauben, denn er keuchte vor Erregung da in seinem Käfig, und manchmal murmelte er: »Beeilt euch! Beeilt euch!«
Und das taten wir: Wir schnitten und kerbten wie besessen und erwarteten jede Sekunde, daß das Tor sich öffnete und die schwarzen Schergen erschienen und für Orwar und für uns und für das ganze Heckenrosental das Ende kommen würde.
Denn nicht nur einen würden sie dann holen, dachte ich. Heute abend bekommt Katla drei!
Ich spürte, wie meine Kräfte nachließen, mir zitterten die Hände, so daß ich das Messer kaum noch halten konnte. Jonathan tobte vor Wut, weil die Latten nicht nachgeben wollten, wie sehr wir auch auf sie einhieben. Er trat mit dem Fuß dagegen, brüllte und stieß wieder mit dem Fuß dagegen, kerbte weiter und stieß wieder zu, und dann krachte es endlich, ja, endlich war eine Latte zersplittert. Und dann noch eine. Das reichte.
»Jetzt, Orwar, jetzt!« sagte Jonathan. Nur ein Keuchen antwortete ihm. Da kroch er selber in den Käfig und zerrte Orwar, der sich nicht auf den Beinen halten konnte, heraus. Auch ich konnte mich kaum noch aufrecht halten, wankte aber doch voran und leuchtete mit der Laterne, während Jonathan sich daranmachte, Orwar zu unserem Rettungsschacht zu schleppen. Er keuchte vor Erschöpfung, ja, wir keuchten wie gehetztes Wild, wir alle drei, und so war uns auch zumute, wenigstens mir. Wie Jonathan das schaffte, weiß ich nicht, jedenfalls gelang es ihm, Orwar durch die ganze Grotte zu schleppen, und es gelang ihm auch, sich selber durch das Loch zu zwängen und Orwar, der mehr tot als lebendig war, hinter sich herzuziehen. Auch ich war mehr tot als lebendig - und sollte nun in den Schacht kriechen. Doch ich kam nicht mehr dazu. Schon hörten wir das Tor quietschen, und da verließ mich das letzte bißchen Kraft. Ich konnte mich nicht rühren. »Schnell schnell die Laterne«, stieß Jonathan hervor, und ich reichte sie ihm mit zitternden Händen. Die Laterne mußte versteckt werden, der winzigste Lichtstrahl hätte uns verraten. Die schwarzen Schergen - jetzt waren sie in der Höhle. Und! außer ihnen Tengilmänner, alle mit Laternen in den Händen. Es wurde erschreckend hell. Hinten in unserer Ecke aber war! es finster. Und Jonathan beugte sich vor, packte mich an den Armen und zog mich in das Loch. Hinein in den dunklen Schacht. Und dort lagen wir keuchend, alle drei, und hörten das: »Er ist geflohen. Er ist geflohen!«
In dieser Nacht führten wir Orwar durch die Unterwelt, Jonathan tat es. Er schleppte ihn durch die Höhle, anders kann man es nicht nennen. Ich hatte nur noch die Kraft, mich selber vorwärts zu schleppen, und kaum das. »Er ist geflohen!
Er ist geflohen«, schrien sie, und als es still wurde, warteten wir auf die Verfolger.
Aber es kamen keine. Und doch mußte sich selbst ein Tengilmann ausrechnen können, daß es irgendwo ein Schlupfloch aus der Katlahöhle gab, durch das wir entkommen waren. Und dieses Schlupfloch zu entdecken, war ja nicht so schwer.
Aber wahrscheinlich waren sie feige, diese Tengilmänner, sie wagten sich nur an Feinde heran, wenn sie im Trupp angreifen konnten, und keiner von ihnen traute sich, als erster in einen engen Schacht zu kriechen, wo ein unbekannter Feind auf sie lauern konnte. Sie waren ganz einfach zu feige, weshalb sonst
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