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Die Buchmalerin

Die Buchmalerin

Titel: Die Buchmalerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beate Sauer
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Tannenreihen, im Schnee abwärts gleiten. Unten, bei den Ausläufern der Schonung angelangt, kauerte er sich hinter einige junge Bäume, deren Äste schon kräftig waren und einen guten Schutz boten.
    Kurz darauf hörte er die gleichmäßigen, knirschenden Tritte, die die Hufe des Pferdes im Schnee verursachten. Der Reiter war mittlerweile auf einer Höhe mit der Tannenschonung und befand sich schräg unterhalb von ihm. Behutsam schob Roger einige der stacheligen Zweige auseinander. Der Mann war nun nah genug, sodass er sein Profil deutlich sehen konnte. Es war kraftvoll, mit einer gebogenen Nase und dichten schwarzen Brauen. Auch sein kurz gehaltener Bart war schwarz. Irgendetwas an dem Mann kam Roger bekannt vor. Dennoch war er sich sicher, dass der Reiter nicht zu Enzios Leuten gehörte. Er beobachtete, wie der Mann gemächlich an der Schonung vorbeiritt. Als er fast vorüber war, wollte Roger den Abhang wieder hinaufsteigen. Doch in diesem Augenblick erklang ein lautes Rascheln oberhalb von ihm zwischen den Tannen. Ein Hase schoss an ihm vorbei, dicht gefolgt von einem Fuchs. Der Hase hoppelte in den Wiesengrund hinaus und schlug einen Haken.
    Der Reiter, der die Bewegung wahrgenommen hatte, drehte sich um und wandte Roger nun das ganze Gesicht zu. Plötzlich meinte er, dass sich ein Leder zwischen ihn und den Mann schöbe und die gezeichneten Umrisse eines Antlitzes vor ihm erschienen. Dann begriff er. Der Reiter glich jenem vierten Mann auf Donatas Zeichnung, dem Zeugen des Mordes.
    Der Mann fasste nun nach einem Bogen, der quer vor ihm auf dem Sattelbogen lag, und sprang vom Pferd. Roger vermutete, dass er den Fuchs erlegen wollte, der wie ein roter Schatten hinter dem Hasen durch den Schnee raste. Roger verlor keine Zeit mehr, sondern kletterte – so schnell es ihm möglich war, ohne zu viele Geräusche zu verursachen oder den Schnee ins Rutschen zu bringen –, den Abhang zwischen den Tannen wieder empor. Als er die Schonung hinter sich gelassen hatte, folgte er weiter dem Verlauf des Tals, bis dessen Krümmung den Reiter verdeckte. Nachdem er diesen großen Bogen geschlagen hatte, stieg er wieder zu den Wiesen hinab. Dort ging er dem Zeugen entgegen. Er musste nicht lange warten, bis Odilo, der Mann, den sie gesucht hatten, um die Talkrümmung ritt.
    Anscheinend hat er den Fuchs nicht getroffen, dachte Roger, denn wenn er ihn ausgeweidet hätte, wäre er nicht so schnell hier gewesen. Unter gesenkten Lidern ließ er seinen Blick vorsichtig höher wandern, bis er das Gesicht des Mannes sah. Nein, er hatte sich eben nichts eingebildet, diese Züge glichen denen des Mannes auf Donatas Zeichnung. Und nun glaubte Roger auch, eine Ähnlichkeit mit Frowin, Odilos Halbbruder, ausmachen zu können. Respektvoll trat er zur Seite und machte den Weg frei. Der Reiter nickte ihm kurz zu.
    Als Ross und Reiter sich etwa drei Pferdelängen weit von ihm entfernt hatten, rief Roger: »Herr, Euer Pferd blutet an der linken Hinterhand, über dem Huf …«
    Überrascht wandte sich Odilo im Sattel um. »Bist du dir sicher?«
    »Ja.« Roger blieb stehen, wo er war, denn er wollte kein unnötiges Misstrauen erregen. Der Reiter sprang aus dem Sattel und griff mit der einen Hand an seinen Dolch. Mit der anderen fasste er die Zügel und ließ sein dunkelbraunes Pferd, eine Stute, einen Halbkreis beschreiben. Als er sich bückte und den Hinterlauf hob, achtete er darauf, Roger nicht den Rücken zuzukehren. Und während Odilo das Bein untersuchte, behielt er Roger im Auge. Schließlich stellte er den Lauf wieder auf dem Boden ab.
    »Was soll das?«, fragte er schroff. »Da ist kein Blut.«
    »Verzeiht, aber ich muss mit Euch reden. Und da ich Euch unverhofft begegnete, wollte ich nicht riskieren, dass Ihr bei meinen ersten Worten weiterreitet. Ihr seid Odilo, nicht wahr, ein früherer Gefolgsmann des Königs …«
    Während Roger näher trat, hob der Mann seinen Dolch abwehrbereit und stellte seinen Fuß in den Steigbügel. »Ja, der bin ich. Aber ich wüsste keinen Grund, warum ich mich mit dir abgeben sollte.«
    »Oh, ich denke doch, dass Ihr mit mir reden werdet, denn Ihr geltet als aufrichtig und ehrenhaft und mir ist bekannt, dass Ihr Zeuge eines Mordes wurdet.«
    »Was für ein gottloser Unsinn!« Odilos Stimme klang fest und ein wenig gereizt. Dennoch entging Roger der Schatten von Schrecken und Unwillen nicht, der rasch über sein Gesicht zuckte.
    »Es geschah vor einigen Wochen«, fuhr Roger schnell fort, ehe der Mann sich auf

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