Die Buchmalerin
Zwei Dutzend Soldaten, dachte er. Auf dem Gehöft gab es etwa dieselbe Anzahl Knechte. Aber gegen die gut bewaffneten Soldaten, die das Kämpfen gewohnt waren, würden sie nicht viel ausrichten können. Sofort schalt er sich wegen dieser Überlegung. Er war Heinrichs Mittelsmann. Der Kardinal würde es nicht wagen, sich an ihm zu vergreifen.
Er übergab dem Knecht die Zügel des Pferdes und ging auf das Wohnhaus zu. Als er den großen Raum im Erdgeschoss betrat, der das Herzstück des Hauses war, saß Enzio in einem hochlehnigen, mit Schnitzereien verzierten Stuhl an der Feuerstelle. Seine Miene war heiter. Neben ihm, auf einem niedrigen Tischchen, stand ein Kelch mit Wein. Ein vergoldetes Gefäß, das kostbarste des ganzen Haushalts, ganz so, wie es einem derart hohen Gast gebührte. Die gesamte Dienerschaft hatte sich an der Schmalseite des Saales versammelt und gaffte. Gertrud, Odilos Frau, hatte in der Nähe des Kardinals Platz genommen. Ihre Haltung war ein wenig angespannt. Doch als sie sich Enzio nun zuwandte, lag ein strahlendes Lächeln auf ihrem hübschen, offenen Gesicht.
Sie ist glücklich, einen so vornehmen Gast beherbergen zu dürfen, ging es Odilo durch den Kopf. Ein vornehmer Gast, der ein Mörder ist … Plötzlich fühlte er sein Heim durch die Anwesenheit des Kardinals beschmutzt und entehrt. Er wusste nun, wie er sich entscheiden würde.
Er durchquerte den Raum und beugte, wie es die Sitte erforderte, die Knie vor dem Kardinal und küsste den Ring, den dieser ihm darbot.
»Welch eine Ehre für mich und meine Leute, dass Ihr uns aufsucht«, Odilo konnte es nicht verhindern, dass seine Stimme spröde klang.
»Ihr habt mir sehr gute Dienste erwiesen. Dafür wollte ich Euch danken«, sagte Enzio liebenswürdig. »Aber, ich bin mir sicher, Ihr könnt mir noch einen weiteren großen Gefallen erweisen.«
*
Die Höhlen befanden sich in einem steilen Hang, hinter wucherndem Strauchwerk verborgen, das Schnee und Eis überzogen. Roger suchte nach einer bestimmten Höhle und es dauerte eine ganze Weile, bis er sie schließlich gefunden hatte. Sie war im Innern so hoch, dass es möglich war, aufrecht zu stehen, und so lang, dass ein Mensch ausgestreckt gut darin liegen konnte.
Nachdem Roger und Donata das modrige Laub beiseite geschoben hatten, das den Höhlenboden bedeckte, machten sie sich auf, Feuerholz zu suchen. Da Donatas Fuß stark schmerzte, kehrte sie nach kurzer Zeit zu dem überwucherten Hang zurück. Unterhalb der Höhle kauerte sie sich in den Schnee, schichtete ein wenig von dem Holz auf, das sie gesammelt hatte, und entfachte die dünnen Zweige mithilfe des Feuersteins und des Zunders. Sobald das Holz Feuer gefangen hatte, schob sie andere Äste nach. Ein starker Fallwind wehte in das enge Tal. Deshalb musste sie nicht fürchten, dass der Rauch aufsteigen und von weitem gesehen werden würde.
Als Roger schließlich ebenfalls zurückkam, brannte das Feuer bereits gut. Donata starrte in die Flammen und wieder, wie im Morgen in der Scheune, hatte ihr Gesicht einen abwesenden Ausdruck.
»Gebt mir das Lederstück, auf das ich heute Nacht gemalt habe … Das den Mord zeigt …« Sie brach ab.
Nachdem Roger es aus seinem Bündel hervorgeholt hatte, schob sie den Ärmel ihres Mantels über ihre Hand. Sie nahm das Leder so entgegen, dass ihre bloßen Finger es nicht berührten. Danach bückte sie sich und zog einen brennenden Ast aus dem Feuer. Sie entfernte sich ein Stück und hielt das Leder in die Flamme. Nachdem es sich entzündet hatte, ließ sie es zu Boden fallen, wo es weiter vor sich hin schmorte. Roger beobachtete sie wortlos. Als nur noch verkohlte Reste davon übrig waren, stieß Donata mit dem Fuß Schnee darüber und kauerte sich wieder bei dem Feuer nieder. Noch immer war ihre Miene verstört.
»Ihr habt einmal gesagt, dass Ihr Euch wünscht, Menschen malen zu können, so wie sie sind«, sagte Roger schließlich vorsichtig. »Nun, was immer Euch auch zu der Zeichnung getrieben haben mag, es ist Euch gelungen.«
»Nicht so.« Donata schüttelte den Kopf, und als sie ihn ansah, war ihr Gesicht schmerzerfüllt. »Es ist böse.«
»Das, was geschah, war böse, nicht das, was Ihr auf dem Leder wiedergegeben habt.«
»So etwas darf nicht sein …«
»Wenn Ihr nicht die Gesichtszüge der vier Männer festgehalten hättet, dann hätte ich Odilo heute Morgen kaum erkannt.«
Als Donata nur wieder stumm und abwehrend den Kopf schüttelte, zog er das Lederstück hervor, auf das sie
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