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Die Buchmalerin

Die Buchmalerin

Titel: Die Buchmalerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beate Sauer
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Und ein vierter Mann – es war der, den Roger nicht kannte – beobachtete das Geschehen. Sein bärtiges, ein wenig kantiges Antlitz mit dichten Brauen über den schmalen Augen wies einen Ausdruck von Abscheu auf. Die Gesichter der anderen drei Männer zeigten ebenfalls Gefühlsregungen. Das des Inquisitors Schmerz, Léons Gleichgültigkeit und das Enzios eine grausame Freude am Töten.
    »Der katzengleiche Dämon ist mir im Traum erschienen«, Donatas Stimme war leise, sie flüsterte fast. »Er hat mir befohlen aufzustehen, zu meinem Bündel zu gehen und das Päckchen auseinander zu falten, das meine Pinsel enthält. Ich konnte mich nicht dagegen wehren. Und dann … Er befahl mir, den Silberstift in die Hand zu nehmen und ihn über das Leder zu führen. Ich dachte, dass meine Hand nur wirre Linien hervorbringen würde. Wie immer, wenn ich den Stift benutze. Aber stattdessen entstand dies …« Sie brach ab und schauderte.
    »Nehmt den Stift noch einmal in die Hand!«
    »Was …?« Sie starrte ihn aus weit aufgerissenen Augen an.
    Roger griff nach seinem Bündel und nahm ein Stück Leder heraus. Als Donata keine Anstalten machte, nach dem Stift zu fassen, drückte er ihn ihr in die Hand.
    »Malt etwas, irgendetwas, was Ihr vor Euch seht. Stellt Euch eine Pflanze vor, die Ihr einmal in Eurem Herbarium abgebildet habt.«
    Sie schüttelte den Kopf und begann zu zittern. Ohne recht zu wissen, was er tat, hockte er sich neben Donata und legte den Arm um sie, während er leise und eindringlich weitersprach: »Stellt Euch ein Kraut vor. Einen Rosmarin- oder einen Thymianzweig. Die Blätter des Thymians sind klein, beinahe oval und laufen in einer Spitze aus …«
    Sie setzte den Stift auf das Leder und führte ihn langsam darüber. Ein unsichere Linie entstand, die allmählich fester wurde. Die Umrisse eines Zweiges bildeten sich, Verästelungen, kleine Blätter und Blüten. Während Roger Donata zusah, glaubte er, beobachten zu können, wie ein Thymianspross dem ledernen Untergrund entwuchs. Nachdem sie das Kraut vollendet hatte, ließ sie den Silberstift sinken. Als sie sich Roger zuwandte, war ihr Gesichtsausdruck benommen, als sei sie eben aus einem Traum erwacht. Sie wollte etwas sagen. Doch in diesem Augenblick ertönten laute Stimmen auf dem Hof und zerstörten den Bann. Roger bemerkte nun, dass er den Arm um Donata gelegt hatte, und zog ihn hastig weg.

    *

    Am Vormittag folgten Roger und Donata einem schmalen Pfad im Schnee, der oberhalb eines Talgrunds, zwischen Felsen und Gebüsch, entlangführte. Besorgt betrachtete Roger den Himmel. Grau und schwer lastete dieser über den bewaldeten Hügeln. Roger schätzte, dass sie mittlerweile etwa die Hälfte des Weges bis zu Odilos Gut zurückgelegt hatten. Falls es jedoch heftig schneien sollte, würden sie das Gehöft kaum vor dem Nachmittag erreichen. Seit einiger Zeit hatte ihn eine unbestimmte Unruhe ergriffen. Eine Ahnung sagte ihm, dass es nicht gut war, wenn sie erst am Nachmittag dort eintrafen.
    Hinter ihm knirschten Donatas Schritte im Schnee. Seine Gedanken wanderten zum Morgen zurück. Nachdem sie von den Knechten aufgeschreckt worden waren, hatte sie den Silberstift und die Pinsel genommen und sie stumm in ihr Bündel geschoben. Die beiden Lederstücke, jenes, auf dem sie in ihrem traumähnlichen Zustand Enzios Mord an dem Inquisitor festgehalten hatte, und auch das, welches die Zeichnung des Thymians trug, ließ sie auf dem Bretterboden liegen, so als schreckte sie davor zurück, sie auch nur zu berühren. Da sie die Lederstücke nicht auf dem Heuboden lassen konnten, hatte Roger sie schließlich in sein eigenes Bündel geschoben.
    Das Wiehern eines Pferdes brachte ihn in die Gegenwart zurück. Fast gleichzeitig hörte er Donata leise sagen: »Unten im Tal ist ein Reiter.« Er fasste nach ihr und zog sie hastig hinter eine Gruppe von Felsblöcken. Der Reiter, ein großer Mann, um dessen Schultern ein schwerer, dunkler Umhang hing, war zu weit von ihnen entfernt, als dass sein Gesicht zu erkennen gewesen wäre. Doch selbst auf diese Entfernung hin war unübersehbar, dass sein Pferd einen guten Stammbaum hatte.
    Roger beugte sich zu Donata. »Ich will herausfinden, ob er zu Enzios Leuten gehört. Bleibt hier hinter den Felsen, bis ich wiederkomme.« Sie nickte.
    Weiter vorne machte das Tal eine Krümmung. Eine Tannenschonung zog sich bis fast zur Talsohle hinab. Gebückt hastete er darauf zu. Als Roger die Nadelbäume erreicht hatte, ließ er sich, zwischen

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