Die Buchmalerin
Vorwurf der Ketzerei gab Euch die Gelegenheit, die Frauen der Folter zu unterwerfen. So konntet Ihr herausfinden, ob Donata ihnen etwas von Eurem Mord erzählt hatte. Und als dann, wenige Tage später, der Leichnam Gisberts nach Köln gebracht wurde, habt Ihr die Gelegenheit genutzt, den Beginen und dem Begarden Euren Mord anzulasten.«
Während der Rede der Äbtissin hatte sich ein lastendes Schweigen auf dem weiten Platz ausgebreitet. Die alte Frau hatte wahrgenommen, wie Luitgard den Kopf hob, als versuchte sie, etwas zu verstehen, und ihn sogleich wieder sinken ließ und wie Heinrich von Müllenark erschrocken aufgefahren war und sein gerötetes Gesicht Unglauben und Fassungslosigkeit spiegelte. Jetzt, nachdem sie geendet hatte, meinte die Äbtissin wieder, die Wärme der Sonne zu spüren. Sie hörte den Schnee tropfend von den Dächern fallen und das leise Rauschen des Schmelzwassers, das sich seinen Weg bahnte.
Vor dem Podium – unter den Reichen und Mächtigen – begann ein Geraune und Getuschel. Auch in den hinteren Reihen der Menge flüsterten die Leute miteinander, ein leises, drohendes Murren, wie das eines gereizten Bienenschwarms. Der Kardinal verfolgte dies – so kam es der alten Frau vor – abwartend und gelassen.
Einer der Bürgermeister, ein hakennasiger, kahlköpfiger Mann, trat jetzt vor und wandte sich zu dem Volk um. »Was die Äbtissin vorgebracht hat, ist völlig unmöglich!«, rief er mit sich überschlagender Stimme. »Der Kardinal und Legat des Papstes ist niemals ein Mörder!«
»Ja, sie ist eine Lügerin«, schrie ein anderer Mann, der wie ein wohlhabender Handwerker gekleidet war.
»Sie steckt mit den Beginen unter einer Decke!«
»Die Äbtissin ist selbst eine Ketzerin!«, wurden andere wütende Stimmen laut.
»Vielleicht hat sie sogar dabei geholfen, den Inquisitor umzubringen!«
Adelheid fühlte sich wie gelähmt. Sie bemerkte, dass auch ihr Großneffe, der unterhalb des Podiums stand, und Luitgards Verwandte völlig hilflos wirkten. Donatas Gesicht war totenbleich.
»Was die Äbtissin gesagt hat, ist wahr!« Luitgards Stimme, hoch und angstvoll, aber durchdringend, übertönte den Lärm auf dem Platz. »Alkuin und ich sind unschuldig. Und das Gleiche gilt auch für Bilhildis!«
*
Im Hof des Benediktinergutes lehnte Roger sich erschöpft an die Flanke eines Pferdes. Während der letzten Tage hatte er von Mal zu Mal einige Stunden im Sattel verbracht. Aber immer noch fühlte er sich lächerlich schnell müde und ohne Kraft. Weder im Haus noch in einem der Ställe hatten sie irgendeinen Menschen angetroffen. Er versuchte, seine Angst zurückzudrängen, dass der Kardinal die Benediktiner und Donata habe festnehmen lassen. Der Abt war eine geachtete Persönlichkeit. Dies würde nicht einmal der Legat des Papstes wagen.
»Abt Hugo und die anderen werden schon zu dem Ort gegangen sein, wo das Gerichtsverfahren stattfindet«, hörte er Prior Volker sagen.
»Ja, bestimmt«, Roger wusste, dass er Donata kaum davon hätte abhalten können, zu dem Prozess zu gehen. Trotzdem hatte er die Empfindung, zu spät gekommen zu sein.
Auf der Gasse vor dem Hoftor schlurfte ein Bettler vorbei. Roger rief ihn an und fragte ihn, wo der Prozess stattfände.
»Beginen … Ketzerpack, das hoffentlich die gerechte Strafe ereilt!« Verächtlich beschrieb der Mann ihnen, wie sie zu gehen hatten.
Zwei Mönche blieben zurück, um die Pferde zu versorgen. Die anderen machten sich gemeinsam mit Roger und dem Prior in Richtung des Doms auf den Weg.
Während sie durch die fast ausgestorbenen Gassen liefen, spürte Roger, wie ihm der Schweiß ausbrach, und führte dies zuerst auf seinen schlechten körperlichen Zustand zurück. Doch dann bemerkte er, wie klebrig und nass der Schnee geworden war und dass Rinnsale von Schmelzwasser an den Rändern der Gasse entlangflossen. Gleichzeitig glaubte er, einen Hauch von Frühling, von feuchter Erde, in der Pflanzen zu keimen begannen, in der Luft wahrzunehmen. Donata, dachte er, hätte sich darüber gefreut. Trotz der verschlammten und schlecht passierbaren Wege und trotz all der Schwierigkeiten, die es mit sich brachte, die Nacht draußen zu verbringen, wenn alles vom Schmelzwasser durchweicht war. Unwillkürlich stieg der Gedanke in ihm auf, dass dies womöglich der letzte Frühlingstag war, den sie erleben würden.
*
Auf Luitgards Schrei hin verstummte das Lärmen des Volkes für einen Moment. Mit dem Ausruf: »Meine Tante ist keine Mörderin!«,
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