Die Buchmalerin
auf. Der Kardinal und Heinrich von Müllenark schritten auf das Podest zu. Ihnen folgten vier Männer, die eine Bahre zwischen sich trugen. Eine Decke aus nachtblauem Samt hing von ihr herab. Die Soldaten packten Luitgard und zerrten sie auf die Beine, während ihr Richter das Podest erklomm.
*
In der Nacht vor dem Prozess hatte Donata nicht geschlafen. Da sie es nicht ausgehalten hatte, im Dunkeln zu wachen, hatte sie Kienspäne angesteckt und beobachtet, wie das Licht vor sich hin züngelte und die Holzstücke langsam herunterbrannten. Schließlich, als wieder einer der Späne beinahe erloschen war, bemerkte sie, dass graues Licht durch die Ritzen des Fensterladens fiel. Sie griff nach ihrem Bündel, das sie neben dem Strohsack abgelegt hatte, zog es auseinander und nahm noch einmal ihre Pinsel und den Silberstift in die Hand und das Lederstück, das die Zeichnung des Thymianzweiges trug. Plötzlich glaubte sie, von ferne Schreien und Waffengeklirr zu hören. Allmählich verebbten die Geräusche. Dann vernahm sie die Schritte der Äbtissin, die sich der Kammer näherte. Sie wollte von dem Strohsack, auf dem sie kauerte, aufstehen und ihr entgegengehen. Doch ihre Beine gehorchten ihr nicht.
Erst als die alte Frau die Kammer betrat, schaffte Donata es, sich zu erheben. »Mein Großneffe hat das Zeichen verstanden. Wir können das Kloster verlassen …« Die Stimme der Äbtissin klang ruhig und spröde wie immer, ein fragender Ton schwang jedoch darin mit.
»Ich fürchte mich«, sagte Donata leise. »Davor, dem Kardinal gegenüberzutreten, vor der Menge und vor dem, was vielleicht nach dem Inquisitionsverfahren sein wird.«
»Noch kannst du hier bleiben. Ich werde auch ohne dich gehen.«
»Nein.«
»Und warum nicht?«
»Wenn ich bleibe, ist meine Angst ebenso groß.«
Die Äbtissin betrachtete sie mit schief gelegtem Haupt und seufzte. »Ich bin eitel und stolz und ich gebe es ungern zu – aber ich schätze, meine Angst ist so stark wie deine. Obwohl mein Leben ohnehin dem Ende zugeht. Und obwohl das, was mir widerfahren wird, wenn Enzio triumphiert, weniger schlimm sein dürfte als das, was er dir antun wird.«
»Die Hölle, habt Ihr gesagt, wartet nicht auf mich«, flüsterte Donata.
Die Äbtissin schüttelte den Kopf. »Dies ist das Einzige, dessen ich mir sicher bin«, erwiderte sie grimmig. Ehe sie die Kammer verließen, drückte sie einen Moment lang Donatas Hand.
Wieder, wie in der Nacht, als Donata in Gefolgschaft der Mönche die Messe besucht hatte, führte ihr Weg über den verschneiten Friedhof. Neben dem Eingang lehnte Abt Hugo. Sein junges Gesicht war blass und ein Ärmel seiner Kutte von Blut getränkt. Tote und Verwundete lagen im Schnee. Donata erkannte unter ihnen einen der Mönche, die mit nach Köln geritten waren. Zwei Benediktinerinnen knieten neben ihm und pressten Tücher auf seinen Leib. Die Stoffe waren rot verfärbt. Nicht weit von ihnen hockten einige Männer, die die Tracht von wohlhabenden Handwerkern trugen, bei einem hageren Greis, dessen Augen geschlossen und eingefallen waren und dessen Brustkorb sich nicht mehr bewegte. Andere Nonnen mühten sich damit ab, einen der Soldaten auf eine Trage zu heben.
»Komm!«, die Äbtissin berührte ihren Arm. »Lass uns gehen …«
Der Abt, einige Mönche sowie Männer aus dem Hause Herkenrath schlossen sich ihnen an.
*
Als sie, von der Gasse Am Hof her, dem Dom zustrebten, versperrte eine Hand voll Soldaten des Kardinals ihnen den Weg. Die Männer bekümmerten sich jedoch nicht weiter um die Gruppe, die sich ihnen näherte. Ihre Aufmerksamkeit war auf die Menge gerichtet, die sich auf dem Platz drängte.
»Er lässt wirklich nichts außer Acht«, murmelte die Äbtissin ihrem Großneffen zu. Am anderen Ende des leicht ansteigenden Platzes, über die Köpfe der Soldaten und der Menge hinweg, konnte sie Enzio sehen. Hinter ihm erhoben sich die grauen, von der Sonne beschienenen Mauern der alten Kirche. Ein tiefblauer Himmel wölbte sich darüber. Soldaten bewachten das Podium, auf dem sich das Gerichtsverfahren abspielte, und die Seiten des Platzes. Einige Dutzend von ihnen trugen die kostbare Tracht, die sie als Männer des Kardinals auswies. In anderen erkannte sie die Bewaffneten des Erzbischofs. Aber es gab auch eine große Zahl Soldaten, die weder zu den Leuten des Kardinals noch zu denen des Erzbischofs gehörten. Enzio von Trient hat sich also auch noch von anderer Seite Hilfe holen können, ging es ihr durch den
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