Die Buchmalerin
Überraschung ausstrahlte. Er hat damit gerechnet, dass Donata und ich bei dem Prozess erscheinen werden, ging es ihr durch den Kopf.
Enzio hob die Hand und es wurde wieder still. »Wer auch immer etwas zur Wahrheit beizutragen hat, soll dies tun«, erklärte er gelassen. Die Soldaten traten zur Seite und eröffneten zwischen sich einen schmalen Durchgang.
Donata blickte die Äbtissin mit angstverzerrtem Gesicht an, aber sie nickte.
Während sie auf das Podium zuschritten, spürte die alte Frau die Wärme der Sonne auf ihrem Gesicht. Vom Dach des Doms tropfte Wasser, langsam und gleichmäßig. Ob es ein Trost des Himmels sein soll, dass ich ausgerechnet an einem Tag wie diesem sterbe, wenn die Erde nach dem Winter wieder zum Leben erwacht?, dachte sie. Oder macht sich der Himmel einfach einen Spaß?
Sie waren nun unterhalb des Podiums angelangt. Enzio schaute ihnen noch immer unverwandt entgegen. Nein, er war nicht unvorbereitet …
Mühsam stieg die Äbtissin die Stufen hinauf, die zur Plattform führten. Sie kamen ihr sehr steil vor. Donata folgte ihr. Der Abt, ihr Großneffe, seine Mönche und die Männer aus dem Hause der Herkenraths wollten den beiden Frauen hinterhergehen. Doch auf einen Wink Enzios hin versperrten ihnen Soldaten den Weg.
Direkt unterhalb des Podestes, dies erkannte die alte Benediktinerin, während sie langsam die Stufen bewältigte, hatten die Patrizier – darunter auch die beiden Bürgermeister Kölns –, in ihren teuren Gewändern, die Prälaten des Domkapitels sowie Adelige aus der Stadt und dem Umland ihre Plätze. Weiter hinten in der Menge erblickte sie den greisen Dominikaner Willigis, den Beichtvater Bilhildis’. Familienmitglieder der Beginen hatten sich ebenfalls unter das Volk gemischt. Im Vergleich zur großen Zahl der übrigen Menge schienen es ihr sehr wenige zu sein. Die meisten der Frauen aus der Stolkgasse wirkten immer noch teilnahmslos. Luitgard hatte den Kopf gehoben. Doch ihr Blick war unverändert stumpf, als sei sie nicht im Stande, wirklich zu begreifen, was um sie herum geschah.
»Nun, Äbtissin, Ihr glaubt, etwas zur Wahrheit in dieser Sache beitragen zu können«, der Kardinal betrachtete Adelheid versonnen, während er Donata keines Blickes würdigte. »Auch wenn die Wahrheit meiner Ansicht nach offen daliegt – sagt, was Ihr zu sagen habt.«
»Ich verbürge mich für diese Frau und spreche für sie«, die Äbtissin wies auf Donata. »Eine Frau, die einen zu niedrigen Stand hat, um für sich selbst zu reden.«
»Das Inquisitionsgericht hört jeden an, gleichgültig, welchen Standes er ist.«
»Bei dem, was diese Frau mit Namen Donata zu sagen hat, geht es um keine Aussage, die die Inquisition betrifft, um keine Aussage bezüglich des Glaubens, sondern um eine Anklage wegen Mordes.«
Der Kardinal hob die Augenbrauen. »Nun, ich denke doch, dass dies hier ein und dieselbe Sache ist …«
Einen Moment lang musterten sie sich. Er weiß genau, was ich vorbringen werde, dachte die Äbtissin. Angst erfasste sie, wieder eine Figur in Enzios Spiel zu sein und genau das zu tun, was dieser vorausgeplant hatte.
Sie zwang sich, ruhig und laut weiterzusprechen. »Ihr habt Luitgard und Alkuin des Mordes an Gisbert beschuldigt. Mit einem Messer, auf das Bilhildis die Kraft des Bösen herabgerufen habe – so habt Ihr eben behauptet –, sollen sie den Inquisitor getötet haben. Doch ich schwöre, dass es sich ganz anders verhielt.« Die Äbtissin wandte sich dem Volk zu. Die Menschen lauschten gespannt.
»Ehrwürdige Mutter, ich muss Euch bitten, kommt zur Sache.« Enzios Stimme klang kalt. »Wer ist denn nun – Eurer Ansicht nach – für den Tod des Inquisitors verantwortlich?«
»Diese Frau hat den Mord an Gisbert beobachtet, der in einer abgelegenen, zerstörten Kapelle im Gebiet von Berresheim geschah.« Adelheid wies auf Donata. »Vier Männer hielten sich in jener Nacht in der Kapelle auf: Gisbert, ein Bote des Königs, Euer Diener und auch Ihr selbst. Diese Frau sah, wie Ihr, Kardinal Enzio von Trient und Legat des Papstes, den Inquisitor erstacht. Weil er Euren Plänen im Wege stand, gemeinsam mit Heinrich, dem deutschen König, einen Aufstand gegen den Kaiser anzuzetteln und den Staufer und den Papst zu stürzen. Ihr wusstet, dass sich Donata bei den Beginen aufhielt. Deshalb habt Ihr den Pöbel aufgestachelt. Er sollte zum Haus in der Stolkgasse ziehen, damit Ihr dort – im allgemeinen Durcheinander – unauffällig nach Donata suchen konntet. Der
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