Die Buchmalerin
Kopf.
Wieder wanderte ihr Blick zurück zu dem hölzernen Podium, das im hellen Sonnenlicht dalag. Zwei Soldaten des Kardinals hatten Luitgard, die den Kopf gesenkt hielt, unter den Armen gepackt. Auch Alkuin, dessen Gesicht zerschlagen war, schien nicht mehr aus eigener Kraft stehen zu können. Die anderen Frauen aus dem Haus in der Stolkgasse wirkten abgezehrt und verschreckt. Obwohl sie dicht beieinander standen, schien es doch keinerlei Verbindung mehr zwischen ihnen zu geben. Nicht weit entfernt von den Frauen befand sich ein Gestell, auf dem eine Trage ruhte, die nachtblauer Samt bedeckte. Heinrich von Müllenark thronte auf einem breiten, mit Schnitzereien verzierten Stuhl. Seine Körperhaltung war angespannt.
Obwohl die ganze Breite des Platzes dazwischen lag, war Enzios Stimme dennoch deutlich zu hören. Samtig und wohlklingend, voller Abscheu über das, was er zu sagen hatte, und doch auch fest. »… die Feinde der Kirche haben sich erhoben und Gisbert, den Streiter für die Reinheit des Glaubens, eingesetzt von Papst Gregor selbst, umgebracht. Sie taten dies, damit der Inquisitor ihre Verderbtheit und Sündhaftigkeit nicht aufdecke. Und sie verübten den gemeinen Mord auf eine besonders schändliche Weise – mit einem Messer, auf das sie die Kraft des Bösen herabriefen, um so die Stärke Gisberts besiegen zu können.« Während er einen Moment schwieg, lief ein Seufzen durch die Menge.
»Aber Gott ist stärker. Er lässt kein Verbrechen ungesühnt. Der Begine Bilhildis, die das Messer mit Zauberkräften versah, wurde ihre Strafe bereits durch göttlichen Ratschluss zuteil. Ein Steinwurf aus einer aufgebrachten Menschenmenge tötete sie. Und was die anderen schändlichen Mörder anbelangt – durch Gottes Gnade konnten auch sie ausfindig gemacht werden: Alkuin, der sich einen Begarden nennt und vorgab, als Prediger durch die Lande zu ziehen. Sowie Luitgard, eine Witwe aus guter Familie, die zusammen mit anderen Frauen, die behaupten, Beginen zu sein, in einem Haus in der Stolkgasse lebte …« Wieder entrang sich ein Stöhnen der Menge, in dem Furcht und Abscheu mitschwangen. Auch zornige Rufe wurden nun laut.
Unvermittelt wandte der Kardinal sich um und trat zu Luitgard, die noch immer mit gesenktem Haupt zwischen den Soldaten stand. »Du hast zugegeben, dem Begarden Alkuin das verderbte Messer übergeben zu haben, mit dem er Gisbert tötete. Gestehe dies nun noch einmal vor all diesen Menschen!«
Die Begine hob langsam den Kopf. Der Blick, mit dem sie Enzio bedachte, war stumpf.
»Sag es! Sag, dass du und Alkuin und die Begine Bilhildis die Verantwortung für dieses Verbrechen tragt!«, wiederholte Enzio schneidend. »Bekenne deine Schuld!«
»Ich … ich habe Alkuin das Messer gegeben …« Ein Schluchzen schüttelte Luitgard.
Die Äbtissin seufzte leise.
»Sie hat es nicht getan!« Ein Verwandter der Begine keuchte entsetzt und empört auf. Andere aus dem Hause der Herkenraths ballten in ohnmächtigem Zorn die Hände zu Fäusten.
»Verderbtes Weib!«
»Bringt die Zauberin und Ketzerin auf den Scheiterhaufen!«
»Ja, verbrennt sie!« Ein vielstimmiger Chor aus Schreien entstieg dem versammelten Volk.
»Lass uns das zu Ende bringen, wozu wir gekommen sind«, wandte sich die Äbtissin an ihren Großneffen. »Ich schätze, wenn du das Wort ergreifst, hat dies ein größeres Gewicht, als wenn ich es tue …«
»Ja, du hast wohl Recht …«, entgegnete er besorgt.
Die alte Frau warf Donata, die mit totenbleichem, völlig starrem Gesicht neben ihr stand, einen raschen Blick zu.
Das Geschrei der Menge verebbte, lief aus, wie eine Welle, die an ein seichtes Ufer schlägt. Der Abt trat einige Schritte vor, bis dicht an die Soldaten heran, die den Zugang zu dem Platz versperrten. In das leiser werdende Geraune rief Hugo: »Dieses Gericht ist zusammengetreten, damit das Verbrechen, begangen an Gisbert, dem Inquisitor, gesühnt werde. Damit dies wirklich geschehen kann, bitte ich, Hugo, Abt des Klosters Maria Laach, dass meiner Verwandten Adelheid, Äbtissin des Klosters Maria im Kapitol, das Wort gewährt wird.«
Unruhe erfasste die Menschen. Erneut stieg ein fragendes, irritiertes Gemurmel auf. Köpfe drehten sich zu der Gruppe am Rand des Platzes um.
Die Aufmerksamkeit der Äbtissin war ganz auf den Kardinal gerichtet, den sie immer noch über die Häupter der Menschen hinweg beobachten konnte. Er stand ruhig da und trotz der Entfernung glaubte sie zu bemerken, dass er Wachsamkeit, aber keine
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