Die Bucht des grünen Mondes
Unterhemd darunter war aufgerissen und in Schweiß getaucht. Seine Beine steckten in einer der hässlichen, aber unverwüstlichen amerikanischen Nietenhosen, und die Stiefel waren unter den erstarrten Schlammschichten kaum mehr zu sehen. Mit einer Stiefelspitze versuchte er das Gröbste abzustoßen. «Du hast nicht zufällig einen Anzug für mich übrig?»
Miguel schob seine Finger in den Hemdkragen und versuchte ihn zu lockern. Er sah in diesem viel zu dunklen Anzug aus, als ginge er zu einer Beerdigung. «Gehen Sie einfach hinters Haus, wenn sie kommt.»
«Mistkäfer!» Mit der Faust deutete Felipe einen Hieb gegen Miguels Wange an. «Ich bin aber neugierig. Wie sie wohl aussieht? Blond, groß und stämmig sollen sie ja sein, die deutschen Frauen. Womöglich ist sie genau das Gegenteil von Senhora Madonna, Gott hab sie selig.»
Madonna Delma Gonçalves, Tochter eines Kaffeeplantagenbesitzers. Ihre stets zurückgekämmten schwarzen Haare und der ernste Blick hatten ihn tatsächlich an ein entrücktes Madonnenbildnis erinnert. Die Geburt der drei Söhne –
nur eines Sohnes
, korrigierte er sich – hatte sie alle Kraft gekostet. Fürs Leben war nichts mehr übrig geblieben.
Eine dicke Blonde würde wahrhaftig besser zu Kilian Wittstock passen. Diese Deutschen waren ja allesamt hart im Nehmen. Zumindest die, die er aus Wittstocks Haushalt kannte. Fleißig, pflichtbewusst, diszipliniert. Was sie sich vornahmen, das taten sie auch. Bis zum erfolgreichen oder bitteren Ende. Es war nicht verwunderlich, dass ausgerechnet ein deutscher Einwanderer zu einem der reichsten Kautschukbarone geworden war. Wittstock war hergekommen und hatte allen Konkurrenten die Kehrseite gezeigt. Die besten Wälder gehörten ihm. Allein der Klang seines Namens versprühte Härte und Willen.
Witt-stock
. Ein Name wie ein Pistolenschuss. Die deutsche Sprache war hart und spitz wie ein von Piranhas abgenagtes Rinderskelett. Und zischte dabei wie eine Anakonda.
Kaufen, verkaufen, schießen, scheißen, kopulieren
… Sogar Sex klang nach Arbeit.
Und wenn er will
, dachte Felipe,
holt er sich auch den Wald im Norden
.
Er stieß Miguel mit dem Ellbogen an. «Dort kommt sie. Oliveira läuft neben der Sänfte, als führe er ein Hündchen an der Leine. An seiner Steifheit und Überkorrektheit hat sie sicher ihre wahre Freude gehabt.»
Während Miguel aufsprang und Haltung annahm, überlegte Felipe, ob er sich eine zweite Zigarette gönnen sollte. Allerdings tat man gut daran, eine wütende Schwarze Maria zu fürchten, also stopfte er das Päckchen zurück in die Hemdtasche. Aus dem Haus erklangen aufgeregte Stimmen; es erbebte unter Marias Schritten.
Wie eine ägyptische Königin kam die neue Senhora auf den Schultern von vier Negersklaven herangeschwebt. Das vom Baldachin hängende Moskitonetz erschwerte die Sicht auf ihre Gestalt. Nun, stämmig wirkte sie nicht … Senhor Oliveira richtete beim Näherkommen seinen Binder und fixierte die Tür; mit einem Nicken begrüßte er Felipe. Der kleine Mistkäfer zappelte, als überlege er, was um Gottes willen er jetzt tun solle.
Die Senhora neigte sich leicht vor und schob die Gaze ein wenig beiseite. Ein helles Gesicht, die Wangen gerötet. Die Lippen nicht groß, aber vollendet geschwungen. Aus ihren ebenso hellen Augen, die sich unruhig bewegten, sprachen Erschöpfung und Nervosität. Die braunen, leicht rötlich schimmernden Haare hatte sie hochgesteckt; einzelne Strähnen hatten sich gelöst und klebten schweißfeucht an den Schläfen. In ihrem dunkelroten Kleid mit schwarzem Seidenputz wirkte sie wie eine Gestalt, die dem europäischen Winter entstiegen war.
Sie wird hier untergehen
, schoss es Felipe durch den Kopf.
Marias raue Stimme riss ihn aus seiner Benommenheit. «Senhor Oliveira!», rief sie aus einem der Fenster über ihm. «Kommen Sie! Schnell!»
Der Blick der Deutschen folgte verwirrt dem brasilianisch-portugiesischen Geschrei. Oliveira sagte etwas zu ihr, vermutlich eine Entschuldigung, und hastete an Felipe und Miguel vorbei ins Haus.
Dass er aufgestanden war, merkte Felipe erst, als die Verandatreppe unter seinen Stiefeln knarrte.
Kaum war Herr Oliveira im Haus verschwunden, fühlte sich Amely allein und schutzlos. Diese Gegend gefiel ihr nicht. Wie anders als die lebensprallen grünen Ufer war der Anblick der Schneise, die man hier in den Urwald gehauen hatte! Als habe eine Dampflokomotive alles niedergewalzt. Eine braune Straße aus Schlamm und Rindenmulch führte
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