Die Bucht des grünen Mondes
Senhorita. Wie Sie sich vielleicht vorstellen können, waren das schwere Schicksalsschläge für Senhor Wittstock. Zumal ja auch seine Frau von ihm gegangen ist. Er hat irgendwann beschlossen, seine Trauer derart zu bewältigen, dass er das Verbot erließ, von Ruben und Kaspar zu sprechen. Für ihn gibt es nur noch Gero, den er verehrt wie einen jungen Gott, und wenn Sie von der … nun, wie nannten Sie es … von der Affaire Sauciere erzählen, dann war es vielleicht Gero, der das Hühnchen mit Ihnen rupfen muss? Verstehen Sie, Senhorita Wehmeyer?»
«Er leugnet, dass Ruben und Kaspar je gelebt haben?»
«Das empfinden Sie nun sicherlich als seltsam.»
«Allerdings.»
«Denken Sie immer an eines, Senhorita: Nirgends auf der Welt ist es wie in Brasilien. Und nirgends sonst trifft einen das Leben so oft so plötzlich. Lernen Sie, damit umzugehen. Dann werden Sie glücklich hier.»
Ob er Kilian diesen Rat auch gegeben hatte? Aber was war dabei herausgekommen? Amely seufzte verhalten. Vielleicht musste man hier geboren sein, um das zu verstehen.
3. Kapitel
Felipe zügelte sein Pferd vor dem Haus, das alle nur
die Hütte
nannten. Es war ein unpassendes Wort für dieses zweistöckige Wohnhaus mit Fensterläden, Erkern und einer alles umfassenden Veranda. Hier auf der Lichtung mitten im Urwald wirkte es fehl am Platz. Aber welcher Sterbliche konnte schon in den Dimensionen eines der reichsten Männer Brasiliens denken? Felipe sprang ab, warf einem Boy die Zügel zu und stapfte die Stufen hinauf. Kaum hatte er den Türklopfer in Form einer bronzenen Schlange gegen die Tür geschlagen, öffnete sie sich einen Spalt.
«Nicht jetzt, Senhor da Silva.» Der heraushuschende Junge legte einen Finger an die Lippen. «Sie müssen warten.»
«Er hat mich herbestellt. Und ich habe mich heute
sehr
bemüht, pünktlich zu sein.» Ganz so, wie Senhor Wittstock es gerne sah. Obwohl Pünktlichkeit nicht zu Felipes Stärken zählte.
«Jaja. Aber irgendetwas geht da drin vor.» Miguel hob die schmalen Schultern. In seinem feinen schwarzen Anzug wirkte er noch dürrer, als er ohnehin schon war. «Alle sind aufgeregt. Ich weiß nicht, warum, ich war in der Küche. Jetzt sind alle oben in den Wohnräumen. Ich glaube, Senhor Wittstock ist krank. Die Schwarze Maria kommt dann und holt Sie rein, soll ich sagen. Geht’s um den neuen Kautschukwald?»
Gemächlich kramte Felipe seine Cabañas aus der Hemdtasche und hockte sich auf die Bank neben der Tür. Er legte einen Fuß aufs andere Knie, steckte sich eine Zigarette in den Mundwinkel und entzündete an der Stiefelsohle sein Streichholz. «Mhm», nickte er. Der erste Zug war immer unbezahlbar; darauf hatte er ein paar Stunden gewartet. Im Kautschukwald war das Rauchen strengstens verboten. «Ich glaube nicht, dass sich die Erschließung in nördlicher Richtung lohnt. Es gäbe zu viele Schwierigkeiten zu überwinden, und die Wegstrecke … summa achtzig Legua. Verdammt, alles könnte so einfach sein, wenn dieser störrische Baum sich endlich dazu entschließen könnte, in Plantagen zu wachsen.» Aber das tat der
Hevea brasiliensis
nicht. Man konnte die wild wachsenden Bäume anschneiden und ihren heraustretenden Saft reichlich ernten; nichts nahmen sie übel. Doch die Versuche, ihn anzupflanzen, waren bisher nicht sehr vielversprechend verlaufen. Wem das eines Tages gelang, dem gehörte die Welt.
Miguel hockte sich zu ihm auf die Bank. «Es wird Senhor Wittstock nicht gefallen, das zu hören.»
«Wird es nicht. Überhaupt nicht.» Schon gar nicht, wenn er krank war. Wahrscheinlich war es die Malaria, die ihn einmal jährlich traf. Dann warf er seinen persönlichen Arzt aus dem Zimmer und trank sich mit Gin Tonic besinnungslos. Drei, vier Tage später war er wieder auf den Beinen. Felipe kannte wenige Männer, die so robust wie der Deutsche waren.
«Vielleicht ist er aber auch gar nicht krank», raunte Miguel ihm zu. «Vielleicht ist er bloß aufgeregt? Denn gleich kommt doch seine neue Gattin.»
«Er empfängt sie hier?», fragte Felipe verblüfft.
«Hat Maria gesagt.» Gewichtig hob der Zehnjährige das Kinn. «Deshalb stecke ich doch im Anzug.»
«Du siehst darin aus wie ein Mistkäfer.»
«Aber den Mist schleppen Sie herum, Senhor da Silva. Die Schwarze Maria wird Sie hauen, wenn sie Sie hier sitzen sieht, noch dazu qualmend. Macht keinen guten Eindruck auf die neue Senhora.»
Felipe sah an sich hinunter. An seinem offen stehenden Leinenhemd fehlten Knöpfe, und das
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