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Die Bucht des grünen Mondes

Die Bucht des grünen Mondes

Titel: Die Bucht des grünen Mondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Beto
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ihrem Gesicht. Sogar ihre Tränen waren fett.
    «Die Sinhazinha aus fremde Land? Nicht gut, dass jetzt komme!»
    Herr Oliveira war hinter ihr aus dem Holzhaus gekommen und eilte ihr nach. «Maria! O que você faz?»
    Sie scherte sich nicht um ihn. Mit wogenden Brüsten stapfte sie auf Amely zu. Unwillkürlich sehnte sich Amely zurück auf das Schiff. Wären die schönen Tage auf dem Fluss doch nie vorübergegangen.
    «Prezada Sinhazinha, prezada Sinhazinha! So hübsche Frau für Herr!» Die Negerin versuchte einen Knicks und neigte sich dabei drohend vor. Amely fühlte sich bedrängt und wich zurück. Herr Oliveira kam näher, er schien die Frau fortziehen zu wollen – angesichts seiner Schmächtigkeit ein sinnloses Unterfangen.
    «Ah, ich bin Maria, immer da für Sinhazinha.» Ihre Lippen, so dick wie ihre Finger, bebten. «Keine Angst, nein? Alles ist gut, alles gut!»
    Ganz offensichtlich war nichts gut. Das Lächeln der Frau vermochte Amely nicht zu deuten. Traurig, erleichtert? Wer mochte sie sein? Eine Hausmagd vielleicht, oder die Köchin. Maria hob die Schürze und wischte sich das Gesicht trocken. Wie sie zum Haus zurückschritt, wirkte sie wie ein Kutter, der einen unsichtbaren Fluss teilte.
    «Senhorita Wehmeyer, ich bitte wegen dieses Zwischenfalls um Verzeihung.» Herr Oliveira neigte den Kopf.
    Ist Ihnen schon aufgefallen, wie oft Sie mich das bitten müssen?
, fragte sie ihn stumm.
    Herr da Silva knurrte ihn auf Portugiesisch an und nickte in Richtung des Hauses. Den wenigen Brocken zufolge, die sich Amely während der Überfahrt angeeignet hatte, schien er zu fragen, was geschehen war.
    «Sein Sohn – Gero – ist gestorben.» Oliveira wandte sich ihr wieder zu. «Es kam ganz plötzlich. Es war eine Surucucu.»
    Er ließ das fremde Wort in der schweren Luft hängen.
Bestimmt hat er schon erwähnt, was das ist. Und ich hab nicht aufgepasst
.
    «Eine Viper. Ihr Biss führt in Minuten zum Tod.» Er sagte es, als stünden sie noch an Deck und beobachteten die Landschaft. Sie wusste nicht, wovor es ihr mehr graute: vor dieser Nachricht oder seiner durch nichts zu erschütternden Ruhe.
    Ein Schatten erschien in der Tür. Schweren Schrittes kam ein Mann heraus. Groß, wuchtig, mit langen Armen und einem Bauch, der seine Weste spannte. Die blonden Haare zerzaust, der Kaiser-Wilhelm-Bart verklebt von Tränen. Er sah sich um, aus geröteten Augen, unter denen schwere Tränensäcke hingen. «Amely», krächzte er. Mit einer Hand tastete er nach der Bank neben der Tür und ließ sich daraufsacken, dass die Bohlen der Veranda knarrten. Amely wusste nicht, was sie tun sollte.
    Sich ihm nähern? Sie konnte es nicht.
    «Amely», wiederholte er. Mit einer wulstigen Pranke fuhr er sich durch das Gesicht, wühlte Tränen und Rotz auf. «Mein Sohn ist tot.»
    Sie schluckte. Stand starr, damit sie nicht in Versuchung geriet, sich umzuwenden und zur Anlegestelle zurückzulaufen.
Lieber Gott, mach, dass dieser Tag schnell vorübergeht
.
     
    Es überraschte sie nicht, dass auch eine Beerdigung in diesem Teil der Welt ganz anders war. Zuletzt hatte sie vor sieben Jahren an einem Grab gestanden, dem ihrer Mutter; es war herbstlich kalt und regnerisch gewesen, wie es solch einer Zeremonie gebührte, und ein Eichhörnchen am Baumstamm jenseits des Grabes hatte ihren von Tränen getrübten Blick gefesselt. Hier war es ein Äffchen, das vorwitzig um die kleine Trauergesellschaft huschte, in der Hoffnung auf einen Happen. Amely verfolgte es aus den Augenwinkeln, dankbar um die Ablenkung. Verstohlen schob sie eine Hand in ihre Rocktasche und tat so, als suche sie einen Krümel. Und tatsächlich, das Äffchen kam näher und legte den Kopf schräg. Sie bedauerte es, nichts dabeizuhaben. Als Kilian Wittstock sich räusperte, zog sie rasch die Hand heraus und nahm wieder demütige Gebetshaltung an. Das Tierchen huschte hin und her, einen Baum hinauf und herab, rannte zum Grab und stöberte in den Blumenbergen. Amely glaubte schon, daran werde sich niemand stören. Bis die Schwarze Maria kurzerhand Herrn Oliveiras Spazierstock an sich nahm und damit durch die Blumen fegte. Empört kreischend sprintete das Äffchen fort.
    Amely nahm die Worte des Pfarrers kaum wahr. Zu viele Fragen kreisten durch ihren Kopf. Und zu vieles gab es ringsum, das ihre Aufmerksamkeit erregte. Dies war kein Friedhof, es war eine abgelegene Ecke inmitten eines riesigen Parks, dicht an einem Kanal gelegen, der zum Rio Negro führte. Igarapés nannte man

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