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Die Bucht des grünen Mondes

Die Bucht des grünen Mondes

Titel: Die Bucht des grünen Mondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Beto
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schnurgerade in die Tiefe des Waldes, unterbrochen nur von diesem Holzhäuschen mit seinen vielen Fenstern, Erkern und einer Veranda. Der Urwald war seltsam still; grüngefiederte Papageien waren die einzigen Tiere, die sich an den Rand der Schneise wagten. Amely konnte die Stimmen der Menschen hören, die im hundert Meter entfernten Kautschukwald arbeiteten. In lichtem Abstand standen dünne, unscheinbare Bäume, an deren Stämmen Eimer hingen. Indios und Schwarze ritzten mit Sichelmessern spiralförmige Schnitte in die hellgraue Borke und ernteten heraustretenden weißen Saft.
Der Baum, der weint
, so nannten die Indianer den Kautschukbaum, hatte Herr Oliveira erzählt. Das weiße Gold, das den unglaublichen Reichtum der Kautschukbarone begründete.
    Und es stank fürchterlich.
    Die Träger machten keine Anstalten, den Stuhl abzusetzen. Amely sehnte sich danach, sich die Beine zu vertreten. Gerne wäre sie die Strecke von der Anlegestelle hierher gelaufen, aber Herr Oliveira hatte auf der Sänfte bestanden. Sie schob die Fülle ihres Rocks durch den seitlichen Einstieg und tastete mit dem Fuß nach der Trittstufe. Die Männer würden schon reagieren, wenn sie sahen, dass sie im Begriff war, unziemlich in den Schlamm zu fallen.
    Eine Hand reckte sich ihr entgegen. Amely blickte in ein freundliches Gesicht, das eine Rasur dringend nötig hatte. Die schwarzen Haare des Mannes waren lang und strähnig. Mit einer nachlässigen Geste wischte er sie sich aus den ebenso schwarzen Augen.
    Der ganze Kerl hatte eine Wäsche dringend nötig.
    Als sie endlich auf halbwegs festem Boden stand – ihre Stiefeletten steckten im Dreck, aber ruinierte Kleidung bedeutete hier ja offenbar wenig –, hielt er ihre Hand länger, als es schicklich gewesen wäre, während er mit der anderen in seiner Brusttasche herumfingerte. Amely entzog sich ihm. Zu ihrer Verblüffung zog er ein Zigarettenpäckchen hervor und steckte sich einen zerknautschten Stängel in den Mund.
    «Ich hatte Sie mir ganz anders vorgestellt», sagte er in ordentlich verständlichem Deutsch.
    «Vielleicht wissen Sie ja gar nicht, wer ich bin», gab sie spitz zurück. Denn sicherlich würde er sich sonst anders benehmen.
    Er entblößte helle Zähne zu einem breiten Grinsen. «Verzeihung, ich sollte mich wohl vorstellen: Felipe da Silva Júnior. Ich bin der, der dafür sorgt, dass der Kautschuk fließt. Gegen alle Widerstände. Der Sklavenaufseher, sozusagen.»
    War das sein Ernst? «Sklaven?» Sie warf einen Blick zurück zu den schwarzen Trägern, die zu hölzernen Figuren erstarrt waren. Sie kam sich entsetzlich dumm vor. «Diese Männer werden nicht bezahlt?»
    «Nein.»
    «Ich dachte, die Sklaverei sei abgeschafft.»
    «Ist sie ja auch.» Er holte ein Streichholzbriefchen aus der Hosentasche, drehte es zwischen den Fingern und entschied sich dann doch, nicht zu rauchen. Ob die Brandflecken auf seiner Haut etwa vom Rauchen stammten? Sicher nicht. Sogar am Kinn hatte er eine solche Narbe. «Theoretisch. Aber man schert sich ja auch nicht um das Verbot, auf den Straßen zu schießen. Brasilien hat seine eigenen Gesetze. Und Manaus erst recht. Alles ist hier anders als irgendwo sonst.»
    Wo hatte sie das schon einmal gehört? «Zu schießen? Sie scherzen!»
    Mit einem bedauernden Blick auf das Päckchen stopfte er es zurück in seine Hemdtasche. «Gilt für Pistolen und für Pfeil und Bogen.»
    Er wollte sie nur erschrecken. Was für ein ungehobelter Mensch! Aber irgendwie gefiel ihr, dass er ihr einen Empfang beschert hatte, der so ganz anders als erwartet ausgefallen war. Ihr schlotterten ja immer noch die Knie bei dem Gedanken, gleich Kilian gegenüberzutreten. Und dann ausgerechnet in dieser merkwürdigen Gegend. Als ob er nach all den Jahren nicht noch einen Tag auf sie hätte warten können! Sie raffte ihr Kleid und machte einen vorsichtigen Schritt. Es musste hier eben noch geregnet haben – ein typischer Regenwaldguss: heftig und kurz. Da öffnete sich die Tür des Hauses, das wie eine Illustration aus
Onkel Toms Hütte
aussah. Dies mochte auch an der dicken Schwarzen liegen, die die Fliegentür aufstieß und an das Geländer der Veranda trat. Eine Haube bedeckte ihr Haar; eine Schürze betonte ihren massigen Bauch. Sie stieß einen heulenden Laut aus.
    Da Silva Júnior und der kleine Junge starrten sie an. Sie wankte die drei knarrenden Stufen herab und kam auf Amely zu. Der schwere Kleidsaum saugte sich mit Schlamm voll. Ihre dicken Finger wühlten in

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