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Die Bucht des grünen Mondes

Die Bucht des grünen Mondes

Titel: Die Bucht des grünen Mondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Beto
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zu urteilen, vom Tod des Sohnes. Die Frauen schluchzten nicht nur, sie brachen in lautes Wehklagen aus. Kilian war dies sichtlich unangenehm; rasch schob er sich zwischen der Menge hindurch und verschwand im Haus.
    «Verzeihen Sie die fehlende preußische Zurückhaltung meiner Landsleute», sagte Herr Oliveira.
    «Ich werde mich schon an diese Mentalität gewöhnen.» Trotzdem wünschte sich Amely zum wohl hundertsten Male an diesem Tag weit fort.
    Sie raffte ihre Röcke und schritt hinter Oliveira die zehn Stufen hinauf. Über ihr ragte die Villa auf:
Casa no sol
, das Haus in der Sonne. Die rosafarbenen Wandkacheln und die weißen verschnörkelten Geländer und bogenförmigen Verzierungen zwischen schlanken Säulen milderten den Eindruck pompöser Größe. Erkerbalkone aus Gusseisen zierten die Ecken des Obergeschosses. Wie viele Zimmer mochte das Haus haben? Jedes besaß eine Tür hinaus auf den umlaufenden Balkon, auf dem Korbsessel, Tischchen und Palmen in Kübeln standen. Unwillkürlich stellte sich Amely vor, wie vor einigen Tagen noch ein vor Kraft strotzender junger Mann dort oben gestanden und sich überlegt hatte, welche Herausforderungen und Abenteuer der Tag wohl für ihn bereithielt. Bevor eine Schlange seinen Lebensfaden durchbissen hatte wie eine launische Norne.
    «Die zukünftige Senhora Wittstock», stellte Herr Oliveira sie dem Gesinde vor.
    All die entsetzten Gesichter glotzten sie an, als begriffen sie nur langsam. Mehr als dreißig Männer und Frauen verneigten sich oder knicksten. «Bem-vindo, bem-vindo», murmelten sie.
Willkommen
.
    Oliveira wandte sich ihr zu und wies mit der Hand einladend auf die geöffnete Flügeltür. «Willkommen in Ihrem neuen Heim, Senhorita Wehmeyer.»
    Ein Vestibül tat sich vor ihr auf, in angenehmes Zwielicht getaucht, da ringsum die Palmen das Licht raubten. Ihre Stiefeletten klangen auf dem marmornen Schachbrettmuster unpassend laut. In Bambuskäfigen krächzten blau-rote Aras. Mehrere Ventilatoren sirrten und verbreiteten den etwas strengen Geruch nach Petroleum. Gottlob war es innerhalb des Hauses ein wenig kühler als in der schwer zu atmenden Luft draußen.
    «Consuela wird Ihnen die Casa zeigen; sie spricht Deutsch. Wie übrigens viele des Gesindes, allerdings in unterschiedlicher Ausprägung. Wenn Sie erlauben, ziehe ich mich in mein Arbeitszimmer zurück. Ich bin aber sofort zur Stelle, wenn Sie es wünschen.»
    «Danke.» Amely nickte. Er machte einen Diener und schritt durch eine Seitentür. An seiner Statt lächelte sie ein junges Mädchen an, dessen Lockenpracht offen um seine Schultern wallte. Amely folgte ihm eine Wendeltreppe hinauf ins obere Geschoss. Hier waren die Zimmer heller und wärmer; sie zählte nicht weniger als zehn, in die sie einen Blick werfen durfte. Lediglich jenes, das den Abschluss am Gangende bildete, blieb verschlossen.
    «Das Schlafgemach der …» Consuela räusperte sich. «Cõnjuges – Eheleute.» Ihre Haltung deutete trotz der Hand auf dem goldenen Türgriff unmissverständlich an, dass sich diese Tür für Amely erst öffnen würde, wenn sie Kilians Frau war.
    Ich bin bestimmt nicht erpicht darauf, da hineinzugehen
, dachte Amely. «Wo kann ich mich frisch machen?»
    «Hier, Senhorita Wehmeyer.» Eifrig öffnete Consuela eine der anderen Türen. «Dies ist Ihr Zimmer. Ich hole sofort frisches Wasser. Unten ist auch Senhorita Bärbels Zimmer; wenn ich es ihr zeigen darf?»
    Bärbel machte große Augen, als müsse sie sich auf immer und ewig von Amely verabschieden. Notgedrungen folgte sie dem Hausmädchen den langen Flur entlang. Amely betrat ein Zimmer von eher bescheidenen Ausmaßen. Licht floss durch die Lamellen der geschlossenen Balkontür und ließ die zierlichen Möbel englischen Stils glänzen. Die Einrichtung war typisch für ein Damenzimmer: ein Schreibtisch, ein Toilettentisch, ein rundes Tischchen mit zwei Stühlen und an einer Wand ein schmales Bett, vor dem ihr Kabinenkoffer stand. Hier würde sie also schlafen, solange sie noch unvermählt war.
    Behutsam setzte sie sich auf die Bettkante. Ein solch helles Zimmer hatte sie sich immer gewünscht. Daheim in Friedrichshain hatte sie nur einen düsteren Raum ihr eigen genannt, der auf den Hinterhof des Mietshauses hinausging. Ihr Vater war stets sparsam gewesen und hielt nichts von protzigen Immobilien. Geträumt hatte sie von einer Wohnung in der Bel Etage, in der sie gemeinsam mit Julius lebte. Eine solche Tapete hatte sie haben wollen, solch zarte,

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