Die Buecher und das Paradies
sich dann schiffbrüchig auf einem Schiff wiederfindet usw. Versucht es nur, wenn ihr wollt, aber ich versichere euch, so vergeblich meine Mühe gewesen sein mag, die eure wird noch vergeblicher sein.
Dies hat mir nicht eine zeitliche Folge in Zickzacksprüngen auferlegt, wie beim Foucaultschen Pendel, sondern eine Gangart nach dem Muster einen-Schritt-vor-und-drei-zurück, einen-vor-und-zwei-zurück, einen-vor-und-einen-zurück. Roberto erinnert sich an etwas, und dabei geschieht etwas auf dem Schiff. Etwas geschieht auf dem Schiff, und Roberto erinnert sich an etwas. Nach und nach, während Robertos Erinnerungen von 1630 zu 1643 fortschreiten, schreiten die Ereignisse auf dem Schiff von Stunde zu Stunde voran. So geht es bis zum Erscheinen von Pater Caspar. Von da an verweilt sozusagen die Handlung eine Zeitlang in der Gegenwart. Dann verschwindet Pater Caspar im Meer und Roberto bleibt wieder allein.
Was sollte ich ihn jetzt tun lassen? Die Zwänge der Romanform verlangten, ihn mehrere Annäherungsversuche ans Ufer machen zu lassen. Aber diese Versuche mußten langsam sein, Tag für Tag neu, repetitiv und monoton. Schließlich hatte ich einen Roman zu schreiben, dessen Zweck ja darin bestehen soll - es sei zum Kummer aller Ästheten gesagt, doch voller Achtung vor den Regeln der Gattung, wie sie sich vom hellenistischen Roman bis heute gebildet haben, zu schweigen von der Poetik des Aristoteles -, dem Leser das Vergnügen der Erzählung zu liefern.
Zum Glück war ich Opfer eines weiteren Zwanges. Um mich an den Geist des barocken Romans zu halten, hatte ich zu Beginn einen Doppelgänger eingeführt, ohne zu wissen, was ich im weiteren mit ihm anfangen sollte. Nun kam er mir wie gerufen: Während Roberto die Insel zu erreichen sucht und jeden Tag besser schwimmen lernt (aber nicht gut genug), denkt er sich den Roman seines Doppelgängers aus, und so kann sich erneut die Struktur einen-Schritt-vor-und-drei-zuriick ergeben, denn während Roberto nicht auf die Insel gelangt, läßt er statt dessen seinen Doppelgänger auf ihr ankommen, nachdem er ihn dort hat aufbrechen lassen, wo er selbst aufgebrochen war. Wie schön ist es, einen Roman zu sehen, der sich von selber entwickelt! Ich wußte nicht, wo ich ankommen würde, denn zum Zwang der von mir gewählten Romanform gehörte, daß Roberto nirgendwo ankommen durfte. Der Roman endet, weil er von selber geradewegs auf sein Ende zugeht. Dies war es, was mein ModellLeser, wie ich mir wünschte, erkennen sollte. Daß der
Roman sich von selber schreibt, denn so war es gewesen und so ist es immer, wirklich.
Was die historischen Zwänge bei Baudolino betraf, so sollte die Rahmenerzählung im Jahre 1204 spielen, da ich von der Eroberung Konstantinopels erzählen wollte. Aber Baudolino sollte um die Mitte des 12. Jahrhunderts geboren worden sein (ich hatte mir das Jahr 1142 als Datum fixiert, um meine Figur mit vielen Tatsachen konfrontieren zu können, von denen ich gerne erzählen wollte). Der Brief des Priesters Johannes wird erstmals um 1165 erwähnt, und ich lasse ihn schon ein paar Jahre später zirkulieren, aber warum macht sich dann Baudolino, nachdem er Friedrich überzeugt hat, nicht sofort auf die Suche nach dem Reich des Priesters? Weil ich ihn erst im Jahre 1204 aus dem fernen Osten zurückkehren lassen durfte, damit er dem Niketas die ganze Geschichte während des Brandes von Konstantinopel erzählen konnte. Und was sollte ich ihn während der fast vierzig Jahre dazwischen tun lassen? Es war ein bißchen wie die Sache mit dem Computer im Pendel.
Ich lasse ihn allerlei Dinge tun, und derweil lasse ihn die Abreise immer weiter hinausschieben. Zu Anfang kam mir das wie eine Verschwendung vor, mir war, als fügte ich in die Erzählung eine Reihe von zeitlichen Füllseln ein, um endlich zu jenem verflixten Jahr 1204 zu gelangen. Aber am Ende, als alles fertig war (und ich hoffe, ja ich glaube zu wissen, daß viele Leser es bemerkt haben), hatte ich die Qual des Begehrens zum Ausdruck gebracht (oder besser gesagt: der Roman hatte sie zum Ausdruck gebracht, ohne daß ich mir dessen gleich bewußt geworden war). Baudolino begehrt das Reich, aber er muß den Beginn der Suche nach ihm ständig aufschieben. So wächst das Reich des Priesters Johannes in Baudolinos Begehren ins Riesenhafte - und ebenso (hoffe ich) in den Augen des
Lesers. Ein weiteres Mal erkennen wir die Vorzüge des Zwanges.
Wie ich schreibe
Nun versteht man, wie gegenstandslos Fragen von der Art
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