Die Buecher und das Paradies
sofort einen nächsten zu beginnen. Aber wenn er nicht schon bereitsteht und einen erwartet, hat es keinen Zweck, sich zu beeilen.
Autor und Leser
Nun möchte ich allerdings nicht, daß diese letzten Behauptungen prompt zu einer anderen ermuntern, die allen schlechten Autoren gemeinsam ist: daß man nur für sich selber schreibe. Mißtrauen wir jedem, der so redet, er ist ein unehrlicher und verlogener Narziß.
Es gibt nur eines, was man für sich selber schreibt: den Einkaufszettel. Er dient als Gedächtnisstütze, wenn man einkaufen geht, und danach wirft man ihn weg, weil er zu nichts weiter nützt. Alles andere, was man schreibt, schreibt man, um jemandem etwas zu sagen.
Ich habe mich oft gefragt: Würde ich heute noch schreiben, wenn ich erführe, daß morgen eine kosmische Katastrophe das Universum zerstört, so daß niemand mehr lesen kann, was ich schreibe?
Im ersten Moment ist die Antwort: nein. Wozu schreiben, wenn niemand mich lesen kann? Im zweiten ist sie: ja, aber nur weil ich die verzweifelte Hoffnung hege, daß in der Katastrophe der Galaxien irgendein Stern überlebt und morgen noch jemand meine Zeichen entziffern kann. Dann hätte es auch am Vorabend der Apokalypse noch einen Sinn zu schreiben.
Man schreibt nur für einen Leser. Wer sagt, er schreibe nur für sich selbst, ist nicht bloß ein Lügner. Er ist auf eine furchterregende Weise Atheist. Auch aus streng weltlicher Sicht.
Unglücklich und verzweifelt, wer sich nicht an einen künftigen Leser zu wenden weiß.
1
Erweiterte Fassung meines Beitrags zu einem Sammelband von Maria Teresa Serafini (Hg.), Come si scrive un romanzo (Mailand, Bompiani, 1996). Die Herausgeberin hatte einer Anzahl Autoren eine Reihe von Fragen gestellt, die den Abschnitten dieses Beitrags entsprechen. Inzwischen ist mein vierter Roman, Baudolino, erschienen, und so habe ich einige Seiten über meine bisher letzte Erfahrung als Romancier eingefügt.
2
Anspielung auf eine berühmte Stelle im 1. Kapitel der Promessi Sposi, wo Manzoni ironisch seine »fünfundzwanzig Leser« anspricht (A. d. Ü.).
3
Eugenio Montale, Ossi di sepia, zu deutsch etwa: »Oft bin ich dem Übel des Lebens begegnet: / Es war der gestaute Bach, der gurgelte, / es war das Sich-Einrollen des welken / Blattes, es war das zusammengesackte Pferd.« Vgl. E. Montale, Gedichte 1920 -1954, übertragen von Hanno Helbling, Hanser 1987, S. 66 f. (A. d. Ü.).
4
Der Anfang des Romans I Malavoglia von Giovanni Verga (A. d. Ü.).
5
Maria Corti, »I giochi del Piano«, in L ’indice dei Libri del Mese, 10, 1988, S. 14 - 15.
6
Zuerst in dem Kapitel »Nachahmungen und Fälschungen« meines Buches Die Grenzen der Interpretation (Hanser 1992); aber siehe auch die vorstehende Inaugurationsrede über das Falsche, die vielleicht, bedenkt man das Datum (1994), die erste Keimzelle von Baudolino darstellt.
7
Deutsch nicht erschienen, vgl. aber Lyon Sprague De Camp, Geheimnisvolle Stätten der Geschichte, Düsseldorf, Econ, 1966 (A. d. Ü.).
8
Bompiani 1992 [dt. Wie man mit einem Lachs verreist, Hanser 1993, S. 173 - 187].
Dt. Nicetas Acominatus, übers., eingeleitet u. erklärt von Franz Grabler (Byzantinische Geschichtsschreiber Bd. 7 - 9), Graz, Styria, 1958 (A. d. Ü.).
9
Vgl. meinen Essay »Mit wem halten es die Orixa?« in Über Gott und die Welt, Hanser 1985, S. 116 - 125.
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